Theater der Zeit

Thema

Am Nullpunkt

Der Regisseur und Dramatiker Joël Pommerat über die Selbstbefragung der französischen Gesellschaft im Gespräch mit Lena Schneider

von Lena Schneider und Joël Pommerat

Erschienen in: Theater der Zeit: Am Nullpunkt – Alain Badiou, Philippe Quesne, Joël Pommerat, Du Zieu (01/2016)

Foto Elizabeth Carecchio
Foto: Elizabeth Carecchio

Joël Pommerat, Ihre Inszenierung „Ça ira (1) Fin de Louis“, ein Stück über die Französische Revolution, ist in Frankreich das Stück der Stunde. Haben Sie selbst eine Erklärung für den großen Erfolg, der nach den Attentaten vom 13. November noch größer wurde?

Es stimmt, die Leute sind auch nach den Attentaten gekommen und fanden darin offenbar etwas, das der Emotion, in der sie sich befanden, entsprach. Das, was passiert ist, berührt uns auf einer emotionalen, intimen Ebene – und gleichzeitig appelliert es an uns als Bürger und Gesellschaft, die das gemeinsame Leben, die Grundregeln unserer Gesellschaft neu definieren müssen. Also berührt es uns auch auf einer politischen Ebene. Diese Attentate waren Demonstrationen politischer, nicht religiöser Ordnung. Und „politisch“ heißt dabei nicht „legitim“. Die religiöse Komponente dieser Terroranschläge ist für mich eine Maske, eine falsche Fährte. „Ça ira“ spricht von diesem Ort, wo alles in der Konstruktion inbegriffen ist. Von einer Gesellschaft, die reinen Tisch gemacht hat und fast bei Null anfängt und sich fragt, wie sie in Zukunft sein will, was sie berichtigen muss. An dem Punkt befinden wir uns auch heute, auch wenn kein Staatsstreich und keine Revolution hier im Westen stattgefunden haben. Wir müssen uns...

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