Everything Is Just for a While
70 Jahre Festspielgeschichte neu betrachtet
von Thilo Fischer und Jeroen Versteele
Erschienen in: CHANGES – Berliner Festspiele 2012–2021. Formate, Digitalkultur, Identitätspolitik, Immersion, Nachhaltigkeit (10/2021)
Labor und Experiment, Seismograf des Zeitgeists, Ausstellungsort und Debattierklub, Radical Art und Workshops für Jugendliche, Feuerwerk und Sport, wochenlang afrikanische Kunst, Städteplanung und Autor*innenförderung, Wissenschaftskolleg und Festumzug mit Wasserkorso und immer wieder Plattform der internationalen Kunstszene – all das waren die Berliner Festspiele in den vergangenen 70 Jahren.
Play, Rewind, Repeat
Der erste Tag der 1. Berliner Festwochen – 5. September 1951: Menschenmengen sammeln sich bereits tagsüber vor dem Schiller-Theater. Schaut man heute in die Gesichter dieser Menschen, sechs Jahre nach der totalen Niederlage, nach Bombennächten und Häuserkampf, Massenvergewaltigungen und Eiseskälte, kann man es schlicht nicht fassen, dass Wilhelm Furtwängler, der ehemalige Vizepräsident der Reichsmusikkammer, der sich zugleich aber auch gegen die Vorgaben des NS-Regimes aufgelehnt hat, wieder dirigiert und inmitten dieser Trümmerstadt nun wieder FESTWOCHEN auf dem Programm stehen. Die Berliner Philharmoniker, die mit Furtwängler den ersten Abend gestalten, erhalten endlich wieder einen repräsentativen Rahmen. Denn die weltberühmte Stadt der Bühnen, der großen Theater und Konzerthäuser ist das eingeschlossene Westberlin zu diesem Zeitpunkt ganz und gar nicht. Im Osten der Stadt stehen sowohl die historisch renommierten als auch die modernsten Theater dieser Zeit. Der neu gegründeten Deutschen Demokratischen Republik gelingt es nicht nur viel schneller, bedeutende Bühnen wie das...