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kirschs kontexte: Gebote und Angebote
Zur Berliner Ausstellungsserie „Dekalog“
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Theater der Zeit: System startet neu – Über den Einbruch der Performance in die Oper (11/2014)
Zwar soll Konrad Adenauer gesagt haben: „Die Zehn Gebote sind darum so eindeutig, weil sie nicht erst auf einer Konferenz beschlossen wurden“, doch das dürfte vergebliche Politikersehnsucht gewesen sein. Auch der biblische Klartext ist nämlich bei genauem Hinsehen ziemlich unklar – glücklicherweise. Die Welt wäre sonst zwar einfacher, aber auch langweiliger. Und die Ausstellungsserie „Dekalog“, mit der sich die Guardini Galerie am Berliner Askanischen Platz in zehn Teilen je einem der biblischen Gebote widmet, wäre in ihr undenkbar.
2013 öffnete der erste dieser von Eugen Blume, Matthias Flügge, Mark Lammert und Frizzi Krella kuratierten „Assoziationsräume“, und nun ist man bei „Dekalog IV“ angelangt, bei „Du sollst Vater und Mutter ehren!“ (noch bis 22. November 2014). Auch dieser Imperativ zeigt dabei schnell, wie auslegbar er ist: Vater, Mutter, Ehre(n) – höchst dehnbare Begriffe, mit denen sich das Gebot von innen her weiten lässt wie ein Kleid, bis an die äußersten Ränder genealogischer Bindesysteme. Wilhelm II. berüchtigter „Aufruf an die Deutschen“ von 1914 („Vorwärts mit Gott, der mit uns sein wird, wie er mit den Vätern war!“) und der genau hundert Jahre jüngere Chrysler-Werbespot über Detroit als „Wiege“ Amerikas, mit dem Bob Dylan seine Gemeinde jüngst wieder einmal brüskiert hat („Detroit made...