Auftritt
Bautzen: Mir fährt das Karussell zu schnell
Deutsch-sorbisches Volkstheater Bautzen: „Lausitzer Quartiere oder Der Russe im Keller“ (UA) von Ralph Oehme. Regie Lutz Hillmann, Ausstattung Miroslaw Nowotny
von Michael Bartsch
Erschienen in: Theater der Zeit: Theater Thikwa Berlin: Ungezähmtes Spiel (06/2018)
Assoziationen: Deutsch-Sorbisches Volkstheater Bautzen
Regionalität sollte nicht mit Provinzialität verwechselt werden. Eine sächsische Kulturraumbühne wie das Deutsch-Sorbische Volkstheater Bautzen hat in der jüngsten Vergangenheit gezeigt, dass sie Gegenwartsthemen ambitioniert aufgreifen kann, ohne im hausbackenen Folklorismus steckenzubleiben. „Mein vermessenes Land“ von Jurij Koch und Oliver Bukowskis „Birkenbiegen“ bearbeiteten den Kohlefraß am Sorbenland beziehungsweise Abwanderung und Strukturwandel in der Lausitz. So gesehen konnte man von den „Lausitzer Quartieren“ so etwas wie ein Lausitzer Nationalepos erwarten. Ein Stück, das den gleich von drei Bühnen in Cottbus, Senftenberg und Bautzen ausgeschriebenen Theaterpreis Lausitzen gewinnt, kann wohl kaum danebenliegen. Überdies verspricht es einen weiten Bogen über zweihundert Jahre Regionalgeschichte zu schlagen.
Doch gerade an der großen illustrierten Lausitzgeschichte verschluckt sich der im Bautzener Haus gut bekannte und erfahrene Leipziger Autor Ralph Oehme. An der Idee, am Plot gibt es eigentlich nichts zu meckern. Der Autor stellt ein und dieselbe fiktive Vater-Mutter-Kind-Familie in vier historische Umbruchzeiten. Er lässt sie arbeiten, feiern, leiden, politisch umherirren und überleben. 1815 bezahlen sie in der Lausitz für die sächsische Paktiererei mit Napoleon mit der Abtretung schlesischer Gebiete an Preußen. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges beißen sich die Arbeiter-und-Soldaten-Räte am sorbischen Nationalismus die Zähne aus.
1945 gilt es, sich flugs mit den sowjetischen Besatzern zu arrangieren, 1990 mit den westdeutschen. Running Gag ist dabei ein versprengter und schnell mal im Keller versteckter Russe, ein Soldat, gar Oberst, mal Gefahr, mal Unterpfand. Die erwachende Tochter des Hauses sieht in ihm den vom sorbischen Mythos Wassermann versprochenen Prinzen auf dem weißen Pferd. In ihrer früherotischen Fantasie erscheint der oben ohne, und der Zuschauer imaginiert selbstverständlich Väterchen Wladimir Wladimirowitsch Putin.
Die zweieinhalb Stunden währenden vier Einakter langweilen nicht, erhellen aber auch wenig. Die Weberfamilie schuftet, der Tuchhändler streicht Gewinne ein, später sind die Armen selbst plötzlich Tuchfabrikanten, die Weihnachtsbescherung für die Belegschaft könnte auch als Enteignung, gar Erschießung ausgehen. Es sind immer ähnliche Geschichten von Anpassung an die jeweils neuen Mächtigen, vom allgegenwärtigen Opportunismus, von einem eher zaghaften Selbstbehauptungsund Veränderungswillen. Der Autor spielt mit Klischees, selten geht es über hübschen Naturalismus hinaus. Eine wirklich große Nummer, die letztlich aber auch nur kolportiert, hat Thomas Ziesch als Offizier der einrückenden Roten Armee 1945, wenn er über die Zukunft der Tuchfabrik entscheidet.
Sind die Lausitzer so? Erkennen sich gar die Sorben wieder? Das Bautzener Publikum machte nicht den Eindruck, sich im Stück besonders zu Hause zu fühlen. Man sucht nach einer Konstanten, nach Identifikationsmomenten, die über die zweihundert Jahre tragen, stößt aber immer wieder nur auf die Getriebenen, auf die Spielbälle größerer Mächte, auf einen Opferstatus im dickfelligen Ertragen. „Mir fährt das Karussell zu schnell“, heißt es bezeichnend im vierten Akt. Mit einiger Sturheit oder einer Pulle Wodka kommt man schon durch. Das wirkt nicht gerade kräftigend. Der sagenhafte Wassermann, auf Wunsch des Theaters als verbindende Figur zwischen die Einakter eingefügt, gibt als Mythos ebenfalls keinen Halt. Als schwarzer Typ in Gothic-Klamotten wirkt István Kobjela erst einmal ganz originell, steuert aber nur Zwischentexte bei. Sein Zweitauftritt als neuer sächsischer König nach 1990 hat dann zumindest kabarettistisches Format.
Unvermutet lassen gegen Ende gereimte Wassermann-Texte eine zuvor vermisste poetische Schönheit erkennen. Allerdings zu beiläufig, um aufmerksam registriert zu werden. Drollig und wortwitzig gelingt auch der kurze Epilog dreier Clowns, die unter Anspielung auf Bertolt Brecht und die Finanzkrise eine eigene Lausitz-Bank gründen wollen. Intendant Lutz Hillmann, der bei allen Oehme-Stücken bislang Regie führte, ist spürbar in manche Situationskomik verliebt, schlägt aber keinen großen Bogen. Die naturalistische Ausstattung von Miroslaw Nowotny mit Webstuhl und Maschinen überhöht nichts. Ein freundlicher und nicht besonders brisanter Volkstheaterabend. //