26. Kasbär und der Balast der Republik
Erschienen in: Eine Puppe packt aus – Dokumentarroman (07/2023)
Obwohl bis zum heutigen Tag immer mehr Menschen aus der Kirche austreten, wird am 6. Juni 1993 mit einem feierlichen Gottesdienst und unter Teilnahme zahlreicher prominenter Gäste des nunmehr vereinigten Deutschlands der Berliner Dom wieder eingeweiht. Unter den Anwesenden befinden sich Vertreter des Hochadels, der Kardinal, etliche Bischöfe, ein Dutzend Politiker aus aller Welt und natürlich, last but not least, der Kanzler persönlich.
Helmut Kohl wird im Volksmund auch „Birne“ genannt, da sein Kopf, je älter er wird, der gleichnamigen Frucht ähnelt. Oben schmal und unten tropfenförmig. Die Hausbesetzerszene kann den dicken Kanzler der Einheit nicht leiden. Er ist für sie der Inbegriff des Bösen, eine Marionette der Haifische vom Potsdamer Platz. Er verspricht den DDR-Bürgern blühende Landschaften und hält sein Versprechen rücksichtslos ein.
Geld sei Dank und Ellenbogen raus, vorwärts marsch, heißt die Devise. Helmut hat am Tag der Dom-Einweihung ausgesprochen gute Laune, denn er ist ein guter Katholik und hat nach halbherziger Morgenbeichte ausgiebig gefrühstückt. Seine Leibgarde hält das Umfeld im Auge, auf den Dächern des Gottespalastes stehen Scharfschützen.
Jonas ist gegen neun aufgewacht und hat auch gerade gut gefrühstückt: Haferbrei mit Wasser, ein Spritzer Milch und ein paar Rosinen im Topf. Die fetten Jahre sind vorbei. Er...