Nachruf
Das weiße Hemd
Zum Tode des Schauspielers und Intendanten Dieter Mann
Erschienen in: Theater der Zeit: Sterne über der Lausitz – Die Schauspielerinnen Lucie Luise Thiede und Susann Thiede (03/2022)
Assoziationen: Akteure Dieter Mann
Er konnte ganze Stücke zwischen seinen Lippen zusammenpressen, bis sie ihren Wesensschrei ausstießen. Er malmte den Text nicht, ein kurzer Biss quasi, der genügte, und Sprache war gepackt in ihrem bittersten, kältesten Kern. Und dann sprangen die Sätze spitz, durchschlagend wie Funken von den Zähnen ab. Oder er spuckte das Wort grinsend aus wie einen Dartpfeil: bohrende Grüße aus einem Gletscherbezirk. Er verschwand – spielend – nicht gern in einem bewegungsflammenden Rausch. Er schnürte zusammen, wo andere ins Fließen kämen. Rosows Wolodja, Plenzdorfs Wibeau, Lessings Tempelherr, Goethes Antonio, Shakespeares Ariel, Bechers Hörder, Hauptmanns Wehrhahn, Strauß’ Odysseus, Tschechows Sorin, Dorn, Gajew. Über 45 Jahre Deutsches Theater Berlin!
Als er spät auch am Berliner Ensemble arbeitete, an Castorfs Volksbühne, am Wiener Burgtheater, bei den Nibelungen-Festspielen in Worms und vor allem in Dresden (Nathan, der alte Moor), sah man seiner Kunst an: Die sinn- und freudestiftenden Zusammenhänge seines Lebens waren ihm nicht mehr zu nehmen. Bemerkenswert, wie er der Zeit nachblickte, die an ihm vorüberzog – wie etwas, das man nicht aufhalten soll, wenn man denn weiter lustvoll bleiben möchte. Es gibt eine Neugier aufs Leben, die erfüllt sich im Loslaufen, eine andere setzt Loslassen voraus. Zu Manns Charakter gehörte: wie er das...
