Magazin
Der Befreiungskämpfer
Begegnungen mit Herbert Achternbusch
von Werner Fritsch
Erschienen in: Theater der Zeit: Sterne über der Lausitz – Die Schauspielerinnen Lucie Luise Thiede und Susann Thiede (03/2022)
Assoziationen: Sprechtheater Dramatik Herbert Achternbusch
PROLOG
Auf den Tag genau vor 46 Jahren änderte sich mein Leben: 5.2.76
Lieber Werner Fritsch!
Ich finde Deine Texte überraschend stark, OFFEN am besten.
Ich würde sie meinem Verlag schicken, wenn ich sie dort in guten Händen wüßte, mein Lektor des Vertrauens ist nicht mehr dort. Wenn Du einmal mehr hast, lese ich es gern und helfe Dir auch, wenn ich kann.
Schau auf Deine Provinz! Jerry Lewis und Erich von Stroheim sind die besten!
Servus!
Herbert Achternbusch, 8035 Buchendorf
Für den Fünfzehnjährigen, der, auf Hinweis seines Lehrers, Herbert Achternbusch erste Texte geschickt hatte, war diese Postkarte ein Donnerschlag. Später durfte ich meine Abiturarbeit über Achternbusch schreiben.
ERSTES ANALOGES TREFFEN: BUCHENDORF 1978
HA Was krallst jetzt in meinen Büchern umeinander? Lacht Ach ja, das merkt eh keiner, daß ich eine ganze Seite vom Horváth abgeschrieben hab!
WF Ich werde schweigen wie ein Grab!
HA Erst nach meinem Tod!
WF Horváth, Fleißer – und sonst auf dem Theater?
HA Lieber Aristophanes als Aristoteles! Jarry! Ein scharfer Hund ist der Wolfi Bauer! Im Juli war er da: Ewig gesoffen! Bis uns der Buchendorfer Kirchturm nachgelaufen ist! Original! Samt der Glocken! Zum Glück ist mir der Revolver im Schreibtisch eingefallen, mit dem sich meine Mutter erschossen hat … Und ich schieß im Garten das Magazin leer auf den Kirchturm.
Jetzt kommt die Gerda daher: „Seids ihr total wahnsinnig? Die Kinder zelten doch heut Nacht im Garten.“
WF Ich hab euch beide gesehen: im Kaspar-Hauser-Film von Herzog … Und Beckett?
HA Als ich „Ella“ inszeniert hab in Stuttgart … Jetzt sitzt da in der Südfunk-Kantine der Beckett. Hat ein Fernsehspiel realisiert … Keiner sich hingetraut … Bin ich hinaus in meinen VW-Bus, Whiskey geholt. Hin zu ihm, auf den Whiskey gezeigt. Hat mich der Beckett mit einer noblen Geste eingeladen, Nobelpreisträger, weißt schon: Ich pflanz mich hin, schau ihn nur an, schenk ihm ein, mir … Den ganzen Whiskey geleert, kein Wort ist gefallen!
Anderntags erzählt Werner Spies, dass Samuel Beckett gesagt hat: Gestern in der Kantine hätt er sich mit einem jungen Deutschen sehr gut unterhalten …
REGIEASSISTENZ BEI ANALOGEM FILM: AMBACH 1982
Aufgrund meiner Abiturarbeit, erschienen im Suhrkamp-Materialienband zu Herbert Achternbusch, bot er mir die Regieassistenz bei „Der Depp“ an. Hochinteressant sein Umgang mit Laien, die er – im Gegensatz zu Regisseuren des Neorealismus – nicht das, was sie im Leben ohnehin sind, spielen ließ (schon auch), sondern Laien-Theater im Film, en passant einen hochtheatralischen Verfremdungseffekt erzeugend.
Gegen Ende der Dreharbeiten, eines Morgens:
HA Der Fassbinder ist tot! Das ist das Ende des Neuen Deutschen Films! Ich werd ein Holzhaus kaufen im Bayrischen Wald und Laotses „Tao te king“ übersetzen …
Er boxt mich wie ein Zen-Meister auf die linke Schulter. HA Jetzt mach dein eigenes Zeug! Das Zeug dazu hast du!
Statt in Einsamkeit und Tao te king stürzte er sich jedoch noch tollkühner ins Tohuwabohu des Filmemachens, in Fassbinders Fußstapfen …
Kurzum: Ich habe viel für meine eigene Arbeit gelernt. Vor allem, dass ich es, um originär zu sein, wieder ganz anders machen muß als er, geschweige anders als all die andern.
Jedenfalls machte und mache ich – in Berlin – mein eigenes Zeug: Der Neue Deutsche Film ist immer noch nicht tot, aber dessen Zuschauer …
DAS LETZTE ANALOGE TREFFEN: MÜNCHEN 2007
Unterwegs zur Akademie, seh ich Achternbusch schweren Schrittes aus dem Weißen Bräuhaus kommen …
HA Wo kommst her?
WF Aus Ägypten. Und ich zeige auf mein schwarzes T-Shirt voll weißer Hieroglyphen.
HA 6. Dynastie, Grab des Wesirs Teti …
WF Wow!
HA Wo gehst hin?
WF In die Akademie …
HA Bist Professor worden? Hab ich dir nicht gesagt: Du sollst dein eignes Zeug machen?
WF Tu ich ja! Jetzt werd ich ja nur Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste …
HA Aja … Das wär nix für mich …
WF Bist ja selber Mitglied! Eich war es auch!
HA Aja? Gestern hab ich meinen Briefwechsel mit Günter Eich verbrannt. Und mit der Asche und chinesischem Tee ein Bild gemalt: „Die Tränen des Tschuang Tse … “
WF Wer’s glaubt, hehe!
HA lächelt
WF Die Kalauer der Eich’schen „Maulwürfe“ als Revolte gegen das eineindeutige Bürokratie-Politik-Wissenschafts-Deutsch schreibst du in jedem Fall fort …
HA Um jeden Preis unverständlich bleiben! Wer versteht, gehorcht!
WF Die Asche von Günter Eich ist unter Johannesbeerbüschen verstreut …
HA Wo? Unter roten oder schwarzen Johannisbeeren?
WF Sag ich dir nicht, sonst malst du auch noch mit der Asche von Günter Eich!
HA Hieroglyphen aus der 6. Dynastie!
WF Ein Totenbuch?
HA Das Herz wird gewogen!
EPILOG: ACHTERNBUSCH DIGITAL?
Heiner Müller: „Herbert Achternbusch ist ein Klassiker des antikolonialistischen Befreiungskampfes auf dem Territorium der BRD“. In Wirklichkeit ist Herbert Achternbusch ein Klassiker von ungleich größerer Aktualität: Herbert Achternbusch ist ein Klassiker dessen, was heutigentags im Netz an spontanen Notaten und Selfies gepostet wird. Nur dass es in seinem Fall und in seiner Zeit erst nach einem halben Jahr als Buch erschien – und ungleich zeitloser ist. Auch sind seine Filme nun, da jeder Fotos und Reels von sich im Netz postet, Selfies avant la lettre, monu:mentale Home Movies auf Zelluloid …
Servus Herbert! Vale Poeta! Non vivere – navigare necesse est!
Seoul 5. 2. 2022