Magazin
Festivalarbeit als performatives Handeln?
Julia Buchberger / Patrick Kohn / Max Reiniger (Hg.) Radikale Wirklichkeiten – Festivalarbeit als performatives Handeln. Transcript Verlag, Bielefeld 2021, 216 Seiten, 38 Euro
von Lina Wölfel
Erschienen in: Theater der Zeit: Sterne über der Lausitz – Die Schauspielerinnen Lucie Luise Thiede und Susann Thiede (03/2022)
Assoziationen: Buchrezensionen
„Ich habe zehn Tage lang gearbeitet, jeden Tag von 11 Uhr bis nachts spät, meistens bis 4 Uhr morgens, aber manchmal auch nur bis 2 Uhr, weil ich keine Kraft mehr hatte. Und am Ende habe ich 0 Euro bekommen.“
Festivals und damit auch die Arbeit an, auf und mit ihnen, haben seit den 1940er Jahren einen festen Platz in der Kultur- und Theaterlandschaft. Allein im deutschsprachigen Raum gibt es über einhundert Festivals, in deren Rahmen Theateraufführungen produziert und/ oder gezeigt werden – meist unter prekären und ausbeuterischen Arbeitsbedingungen mit befristeten oder inhaltlich schwammig formulierten Verträgen. Gleichzeitig werden Festivals als Experimentierfelder, manchmal sogar als Utopie für neue, gerechtere und progressivere Theaterarbeit und Ästhetiken gehandelt.
In ihrem Sammelband „Radikale Wirklichkeiten – Festivalarbeit als performatives Handeln“ stellen die Herausgeber:innen Julia Buchberger, Patrick Kohn und Max Reiniger die Arbeit an Festivals in den Fokus der Betrachtung und lassen die Autor:innen in Essays, Aufsätzen und Gesprächen das performative Potenzial der Festivalarbeit diskutieren. Radikale Wirklichkeit heißt hier die Methode, mit der Theaterfestivals in ihrer Funktion und Wirkungsweise als Produktions- und Arbeitsumfeld betrachtet werden.
Die radikale Betrachtungsweise soll den Anspruch markieren, „die gesamte Arbeit, also die vielfältigen kuratorischen, künstlerischen, administrativen, koordinierenden und ausführenden Tätigkeiten, die zur Entstehung, Umsetzung und Nachbereitung eines Festivals beitragen, gleichberechtigt zum Objekt der Betrachtung zu machen.“ Die Herausgeber:innen gehen dabei von ihren eigenen Erfahrungen aus, die sie während der gemeinsamen Organisation des kollektiv organisierten Festivals transeuropa fluid gemacht haben, das 2018 in Hildesheim stattfand. Diese, wie die Herausgeber:innen es nennen, „ganzheitliche“ Betrachtungsweise der Festivalarbeit soll im Band „Radikale Wirklichkeit“ überprüft und theoretisch ausgeführt werden. Der Band ist in drei Kapitel unterteilt, die sich Theaterfestivals in ihrer Funktions- und Wirkungsweise als Arbeitsumfeld (1), dem Wechselspiel zwischen Strukturen und Ästhetiken von Festivals (2) sowie dem Drumherum, sprich Verpflegung, Vermittlung und Kritik (3) annehmen.
Die Beiträge spannen dabei ein Feld von Bewerbungsarbeit und Residenzformaten über Diversitätsentwicklung sowie die Rolle der Geschäftsführung von Festivals bis hin zu Festivalarchitekturen und Studierendencampi. Besonders spannend ist der Beitrag von Bianca Ludewig, die sich eines arbeitssoziologischen Blicks auf Praktika und Volunteering im Rahmen von Transmedia Festivals annimmt. In ihren empirischen Untersuchungen befragt sie sowohl Festivalmacher:innen als auch Praktikant:innen und Volunteers auf mehreren internationalen Transmedia Festivals. Ihre Ausführungen sind dabei auch auf Theaterfestivals übertragbar. In ihren Ausführungen, aus denen auch das eingangs angeführte Zitat stammt, zeigt sie schlüssig, aber auch erschreckend auf, wie die Motivation für das Absolvieren von sowie der Umgang mit Praktika und Volunteering letztendlich dazu führt, prekäre Arbeitsbedingungen, Konkurrenzdruck und die Ökonomisierung des Kulturbetriebs fortzuführen. Oft steht die Arbeit an Festivals dadurch in einem ambivalenten Verhältnis zur gezeigten Kunst. Diese These stützt auch der vielleicht ein bisschen nischige, aber darin umso exemplarischere Gesprächs-Beitrag mit Thomas Friemel, Mitbegründer der freitagsküche.
Eigentlich sollte er erklären, wie Festivalgastronomie und Vermittlung in Beziehung zum künstlerischen Programm eines Festivals gebracht werden, beziehungsweise ohnehin schon stehen. Das Gespräch entpuppt sich jedoch als scharfe Kritik daran, wie Vermittler:innen auch im Festivalkontext zu „Künstler:innen zweiter Klasse“ werden und ihre Formate oft weniger, als behauptet, in einen inhaltlichen sowie strukturellen Kontext zu den eingeladenen Arbeiten integriert sind.
Es wäre wünschenswert gewesen, die Herausgeber:innen hätten die Fülle an verschiedenen Beiträgen am Ende nochmals zusammengeführt und so einen Ausblick für Festivals gewährt. So könnte aus der Methode der „Radikalen Wirklichkeit“ vielleicht sogar eine lebbare Utopie werden. //