Rassistische Ästhetik im deutschsprachigen Theater: Die Schutzbefohlenen und Die Schutzlosen
von Julius Heinicke
Erschienen in: Recherchen 148: Sorge um das Offene – Verhandlungen von Vielfalt im und mit Theater (05/2019)
Vor dem Hintergrund des Einsatzes vielfältiger performativer Traditionen in afrikanischen Kontexten sticht die Kreativlosigkeit und Einfältigkeit der Regisseure in der Darstellung von geflüchteten Menschen bei den beiden im Prolog vorgestellten Produktionen des deutschen Stadttheaters – Die Schutzbefohlenen und Die Schutzlosen – ins Auge. Sie haben keine anderen Möglichkeiten finden können, als geflüchtete Menschen mit real Geflüchteten (Thalia Hamburg) oder mit Schauspielern aus Burkina Faso (Gera) zu besetzen und so die Darsteller auf eine Hautfarbe beziehungsweise diese als Zeichen von Flucht zu reduzieren. Azadeh Sharifi argumentiert, dass solche Reduktion auf äußerliche Merkmale eines Menschen letztlich rassistisch motiviert ist.45 Obwohl die Schutzbefohlenen am Thalia Theater in Hamburg und die Schutzlosen in Gera keineswegs die ganze Breite des deutschen Stadttheaters repräsentieren, verdeutlichen sie die Herausforderung dieser Art von Theaterarbeit, kulturelle Vielfalt ohne Rassismen und Binaritäten darzustellen. Die künstlerische Beschränktheit hängt jedoch auch mit der besonderen Geschichte des deutschen Stadttheaters und dessen Ästhetik zusammen.
Mit dem 18. Jahrhundert beginnt sich im deutschsprachigen Raum eine Theaterästhetik durchzusetzen, in welcher die Autonomie der Kunst in den Vordergrund rückt und das Publikum domestiziert wird. Der Zuschauer nimmt von nun an primär die Rolle des unbeobachteten Beobachters ein, der das Bühnengeschehen durch die vierte Wand hindurch verfolgt....