Theater der Zeit

Gespräch

Was macht das Theater, Jürgen Kuttner?

von Gunnar Decker und Jürgen Kuttner

Erschienen in: Theater der Zeit: Thomas Ostermeier und Thomas Oberender: Die Systemfrage – Stadttheater oder freies Arbeiten? Ein Streitgespräch (12/2013)

Assoziationen: Dossier: Was macht das Theater...?

Herr Kuttner, haben Sie schon die „Wer war Willy Brandt?“-Plakate zu seinem hundertsten Geburtstag gesehen, darauf ein Mandoline spielender Bundeskanzler samt lässig zwischen die Lippen geklemmter Zigarette?

Willy Brandt ist schon ein besonderer Fall in dieser Generation, in der ja alle ein Leben hatten vor ihren Ämtern in der Politik. Im Nachkriegsdeutschland war er als Emigrant eine tief beargwöhnte Figur. Übrigens hatte nicht nur die DDR Günter Guillaume auf ihn angesetzt, auch die CDU brachte, wie man heute weiß, einen ganzen Spitzelapparat um ihn herum in Stellung.

Außerdem war er ein Mann mit Eigenschaften, ein Dandy in der Politik, der seine Lebenslust nicht verbarg. Egon Bahr schrieb in seinen Erinnerungen, Brandt habe sofort einen persönlichen Draht zu Kremlchef Breschnew gehabt, weil sie die Liebe zu „Wein, Weib und Gesang“ verband. Und hinzugefügt, dass sie, wenn sie auf eines hätten verzichten müssen, als Erstes das Singen aufgegeben hätten.

In gewisser Weise besaß Brandt Popstarqualitäten. Er war eine Projektionsfläche für andere. Eine Art deutscher Kennedy. Man sollte ihn nicht glorifizieren, aber die Konservativen haben ihm weder sein „Mehr Demokratie wagen“ noch seine Aussöhnung mit dem Osten je verziehen. Beide Ziele waren zu der Zeit alles andere als Wohlfühlthemen zum Sichselbst- Feiern, sondern...

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