Ein lernender Organismus
von Ersan Mondtag
Erschienen in: Zeitgenoss*in Gorki – Zwischenrufe (03/2023)
So etwas wie echte Ensembles gibt es heute immer weniger. Dieses verbindende, identifikationsstiftende Element, das schlägt immer mehr um in Beliebigkeit – die Leute drehen viel, haben Ein-Stück-Verträge. Daraus ergibt sich keine kollektive Idee, die eine Gruppe von Schauspieler*innen zusammenschweißt, antreibt und an etwas forschen lässt.
Das Gorki-Ensemble ist anders. Es hat aus sich selbst heraus einen ganz eigenen Spielstil entwickelt. Den Gorki-Stil. Das macht die Arbeit an diesem Haus für mich als Regisseur einzigartig, weil man mit so einem Stil umgehen muss und er die Arbeit auch ästhetisch beeinflusst. Es beginnt damit, dass die Schauspieler*innen schon beim Einstieg in eine Arbeit involviert sind, in die Konzeption, in die inhaltliche Dimension der Stoffe. In den ersten Wochen sitzen wir überwiegend am Tisch, diskutieren, streiten uns auch, es gibt konfrontative Momente. Es gibt hier nicht Leute, die in eine Produktion reinbesetzt werden und sich denken, dann spiele ich diese Rolle eben. Die Spieler*innen werden reingeholt aufgrund von Schnittmengen eines Interesses, aufgrund von Möglichkeiten, die einen produktiven Austausch versprechen. Das ist die inhaltliche Komponente dieses Ensembles. Eine andere ist der respektvolle Umgang, den es miteinander gibt – und der dazu führt, dass die Mitglieder bei aller Unterschiedlichkeit dennoch einen gemeinsamen Spielstil entwickeln...