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kirschs kontexte
Spieß voran, drauf und dran!
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Theater der Zeit: Birgit Minichmayr – Ich bin es und bin es nicht (01/2013)
Kürzlich erzählte mir ein befreundeter Regisseur, der sich mal wieder mit einem Wust von Projektanträgen herumschlug, er versuche jetzt, ein „agrarisches Verhältnis“ dazu zu entwickeln. Er betrachte sich selbst als Bauer, der zu bestimmten Jahreszeiten zum Säen auszöge, um dann neun Monate später – vielleicht – die Ernte einzufahren. Außerdem habe er begonnen, sich Arbeitszeiten und Feiertage nach einem eigenen Bauernkalender einzurichten.
Ich fand diese Haltung sehr gut. Es mag ja sein, dass der neoliberale Kapitalismus das sogenannte „Bodenprinzip“ und die mit ihm verbundenen Traditionen endgültig aufgegeben hat; aber das hat er nur getan, um all das auf anderen Ebenen wieder neu einzurichten. Auch im „Global Village“ des 21. Jahrhunderts arbeiten Moderne und Antimoderne immer in- und miteinander. Unser Boden heißt Kulturbürokratie, unsere Burg Hauptstadtkulturfonds. Und es braucht nach wie vor eine gewaltige Bauernschläue und ein ganzes Arsenal von Bauernregeln, um die Scheunen einigermaßen zu füllen: An Ägidius man säen muss, an Mariae Geburt müssen die Anträge furt. Wer da vom Dorf stammt und sich der Riten der Großväter erinnert, ist im Vorteil, und zwar umso mehr, als seit geraumer Zeit ein Dauerhagel namens „Finanzkrise“ bei vielen Antragsbauern eine Missernte nach der anderen produziert.
Das gilt aber nicht nur für...