UNGARN
Marksteine des ungarischen Gegenwartstheaters
von Andrea Tompa
Erschienen in: Recherchen 61: Landvermessungen – Theaterlandschaften in Mittel- und Osteuropa (12/2008)
Assoziationen: Dossier: Ungarn
Die Fragen, die die ungarischen Theatermacher zur Zeit intensiv beschäftigen und erregen, sind vielfältig, doch leider sind es keine künstlerischen. Wie in den Theaterkulturen anderer osteuropäischer Länder geraten Fragen der Ästhetik heute in den Hintergrund. Im Vordergrund stehen die drängenden strukturellen Probleme der gesamten Theaterlandschaft und der Theaterpolitik. Künstlerische oder fachliche Fragen spielen dabei nur eine Nebenrolle. Gerangel um Macht und Geld sind stattdessen an der Tagesordnung. Ein Theatergesetz soll da als potentiell neuer – aber von Anfang an skeptisch betrachteter – Rahmen dienen, um die belastende Tradition der Repertoirestruktur und die Skandale der irregulären Intendantenernennungen an den Regionaltheatern einzudämmen, wo aber anstelle von Kompetenz allein die politische Loyalität zur großen Rechtspartei entscheidet. Bei näherem Hinsehen ergeben sich daraus für die künstlerische Arbeit entscheidenden Schlüsse: Einerseits kennt das heutige ungarische Theater – seine Struktur, seine Institutionen mit seinen Traditionen und damit verbundenem ästhetischem Denken – keinen Unterschied zwischen kommerziellem, auf reine Unterhaltung zielendem und öffentlichem, eher literarischem Theater. Das liegt vor allem daran, dass der jeweilige Rechtsträger – der Staat, die Stadt oder das Ministerium – nicht in der Lage ist zu entscheiden, welche Rolle die von öffentlichen Geldern subventionierten Kulturinstitutionen, darunter die Theater, spielen sollen, was man von ihnen...