Grußwort zum 70. Jubiläum des Maxim Gorki Theaters Berlin – 20 Jahre postmigrantisches Theater
von Claudia Roth
Erschienen in: Zeitgenoss*in Gorki – Zwischenrufe (03/2023)
Über scheinbar unüberwindbare Mauern und Abgründe hinweg eine Basis für Verständigung finden: Es ist ein schwieriges, oft schmerzhaftes Ringen, das Yael Ronen 2014 mit Common Ground – ihrem bewegenden Stück über den Balkankrieg in den 1990er Jahren – im Maxim Gorki Theater auf die Bühne gebracht hat. Dieses beharrliche Bemühen um Verständigung macht Demokratie im Kern aus. Denn die großartige Vielfalt einer Einwanderungsgesellschaft schafft nicht nur kulturellen Reichtum, sondern auch handfeste Konflikte. In der Konfrontation konstruktiv zu streiten, einander zuzuhören und zu verstehen, trotz unterschiedlicher Perspektiven, trotz widerstreitender Weltanschauungen, trotz verschiedener Erinnerungen und Erfahrungen, Gemeinsamkeiten, „common grounds“, zu finden – das ist in einer pluralistischen Demokratie vielleicht das Schwierigste überhaupt.
Das postmigrantische Theater hat der Vielfalt und damit auch den Konflikten der Einwanderungsgesellschaft Raum gegeben. Es hat Themen, die Menschen mit Zuwanderungsgeschichte bewegen und uns alle angehen, auf die Bühne geholt. Es hat auf diese Weise dazu beigetragen, dass diverse Erfahrungen zur Sprache kommen, dass marginalisierte Gruppen stärker sichtbar werden, Gehör finden und teilhaben am öffentlichen Diskurs. Es erreicht damit auch ein diverseres Publikum, das sich im geschützten Raum des Theaters auf ein Nachdenken darüber einlässt, wie wir in einer freien, weltoffenen, vielfältigen Gesellschaft zusammenleben wollen und können.
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