Power of Diversity
The Crossing Lines Project
von Matthias Rettner
Erschienen in: Power of Diversity – The Crossing Lines Project (06/2018)
Anfang 2014 entstand die Idee, schon bestehende vereinzelte Partnerschaften des Aktionstheaters PAN.OPTIKUM im internationalen Kontext zu intensivieren und über ein großes Kooperationsprojekt miteinander zu vernetzen. Dabei sollten Theaterproduktionen im öffentlichen Raum im Mittelprunkt stehen, einem Genre, dem sich das Ensemble seit seiner Gründung vor über dreißig Jahren verschrieben hat. Die Relevanz dieser Theaterform war in Deutschland lange unterschätzt und hat erst in den vergangenen Jahren stark an gesellschafts- und kulturpolitischer Bedeutung gewonnen.
Zudem hat auch der Konkurrenzdruck um Aufmerksamkeit im öffentlichen Raum stark zugenommen, denn genau hier werden wichtige gesellschaftliche Themen verhandelt, medial debattiert, aber auch instrumentalisiert. In deutschen Innenstätten ist man beispielsweise gegenwärtig mit höchst fragwürdigen Demonstrationen für ein sogenanntes christliches Abendland konfrontiert, die jene dunklen Zeiten eines vergessen geglaubten antieuropäischen Deutschlandbildes heraufbeschwören wollen. Allerdings stößt man immer wieder auf wunderbar geistreiche Antworten, die diesen zunehmend impertinenten Populismus einiges zu entgegnen haben, wie denen im Nachbargarten des rechtspopulistischen Politikers Björn Höcke. Hier werden dessen gefährliche Appelle an niedere Instinkte brillant mit einer Reminiszenz an das Berliner Holocaust-Mahnmal öffentlichkeitswirksam konterkariert. Von der erwähnten Bewegung – vor allem in ostdeutschen Städten – war allerdings zur Zeit der Projektplanung noch nichts zu ahnen. Eine neue Sichtweise, ein Perspektivwechsel, auf das eigene Schaffen, herausgefordert durch die Auseinandersetzung mit dem Empfinden und dem kulturellen Hintergrund der Partner auf das eigene Tun, erweitert immer auch die eigene Kompetenz. Aus dieser Erfahrung langjähriger internationaler Kooperationen bildete sich der Antrieb für „Power of Diversity – The Crossing Lines Project“. Dass die Chancen und Möglichkeiten, die sich aus den vielfältigen Erfahrungshintergründen und Möglichkeiten der Beteiligten ergeben, nur erlebt werden können, wenn man dazu bereit ist, auch eigene Denk- und Wahrnehmungsmuster in Frage zu stellen, impliziert nicht nur der Titel des Projekts. Es zog sich auch als künstlerische Gestaltungslinie durch das gesamte Projekt.
Dabei prägten auch die Ergebnisse der mehrjährigen Zusammenarbeit zwischen dem Kreativteam von PAN.OPTIKUM um Sigrun Fritsch und dem Rapper Robin Haefs und Rapucation aus Berlin das Gesamtkonzept. Ganz bewusst wurde Hip-Hop als Ausdrucksform gewählt, denn in vielen Projekten mit jungen Erwachsenen zeigte sich, dass mit dessen Verwendung als eine künstlerische Ausdruckssprache sowohl Teilnehmer als auch Publikum aus sehr verschiedenen Gesellschaftsschichten Interesse zeigen und Grenzen sozialer Herkunft und Bildungshintergrund kaum mehr eine Rolle spielen.
Als einen spielerischen Dialog zwischen analoger und digitaler Welt sowie zwischen Zuschauern und Darstellern kann man den Teil des Projekts interpretieren, der aus der Idee des Konzeptkünstlers Peter Zizkas entstanden war: Antworten des Publikums auf Fragen, die für den Inhalt der Stadtrauminszenierungen relevant waren, wurden mit Bewegungen der Tänzer verknüpft und in einem partizipativen Digitalisierungsprozess letztendlich als analoges Exponat wieder sichtbar gemacht. Auch hiervon gibt das vorliegende Buch Zeugnis. Vielleicht kommt darin der la tente Wunsch der darstellenden Künstler zum Ausdruck, neben der Kunst des Augenblicks auch dauerhaft Sichtbares zu schaffen.
In jedem Fall soll das Buch einen Eindruck von der Energie und Potenz dieses dreijährigen Projektes vermitteln, in dem alle Darsteller nicht nur monatelang zusammengearbeitet haben, sondern auch jede der zehn Partnerstädte besuchten und dort die Platzinszenierung „Crossing Lines“ in den Stadtzentren jeweils vor mehreren tausend Zuschauern aufführten. Dafür kommen Beteiligte aus allen Ländern zu Wort, Vertreter der Partnerinstitutionen ebenso wie die Akteure und künstlerischen Mitarbeiter. Die Autoren nähern sich den Phänomenen Hip-Hop und Theaterkunst an und geben Einblick in Voraussetzungen und Perspektiven von Theaterinszenierungen im öffentlichen Raum. Schließlich zeigen zahlreiche Fotos von den Proben und Aufführungen sowie von Peter Zizkas‘ erwähnten Kunstwerken die Diversität, die über den gesamten Arbeitsprozess spürbar war. Ein künstlerisches Statement gegen um sich greifende Gedanken der Abschottung.