1.4 Synchronisierte Kreativität
von Dan Richter
Erschienen in: Improvisationstheater – Die Grundlagen (10/2018)
Improtheater ist nicht die einzige Form der improvisierten Künste. Letztlich liegt jeder Kunst ein Stück Improvisation zugrunde. Jeder Künstler steht erst einmal vor dem Nichts – dem unbehauenen Stein, der leeren Leinwand, dem weißen Blatt, der Stille im Studio. Die Unterschiede zur „reinen“ Improvisation sind graduell: Wieviel Vorbereitung lasse ich zu? Wieviel Nachbearbeitung ist möglich?
Die prominenteste Schwester des improvisierten Theaters ist wohl die Musik, insbesondere der Jazz und – in Verbindung mit improvisierter Dichtung – der Freestyle Rap. Ähnlich wie im Improtheater arbeitet der improvisierende Musiker selten allein, sondern mit einer Band. Es existieren ähnliche Regeln: Höre zu, arbeite am Gesamtwerk mit, gehe kreativ mit Fehlern um usw.
Eines aber unterscheidet die Improtheater-Künstler von anderen improvisierenden Kollegen: Sie improvisieren auf mehreren künstlerischen Feldern gleichzeitig. Sie sind Schauspieler, Geschichten-Erfinder, Regisseure, Text-Autoren, abhängig vom Format oder improvisierten Stück oft auch Sänger, Komponisten, Tänzer, Choreographen, Lyriker. Im besten Fall entsteht so mit leichter Hand ein improvisiertes Stück, das die Zuschauer und die Künstler gleichermaßen fasziniert.
Ein großer Teil dieser Faszination liegt darin, dass Improtheater eigentlich die ungeheure Anmaßung der Künstler ist, all diese Ebenen tatsächlich zu beherrschen. „Wie ist das überhaupt möglich?“, fragt man sich manchmal nach einer Improtheater-Show, sowohl als Zuschauer...