Das Publikum ist der Freier. Es hat keine Chance, sich im Dunkel des Zuschauerraums zu verstecken. Ohne dass jemand dem ironisch-lasziv gesungenen Megafonappell „Ruf mich an!“ nachkommt, treten die Prostituierten nicht aus ihrem rot beleuchteten Schaufenster heraus und erzählen von ihren Erfahrungen – das Publikum muss die eingeblendeten Handynummern schon auch anrufen.
„Rotlicht“, wie die neueste Produktion des freien Ensembles werkgruppe2 heißt, feierte unter Beifallsstürmen im April ihre Uraufführung im Deutschen Theater in Göttingen. Zwei Stunden lang geht es um reale Lebensgeschichten und Erlebnisse aus dem Berufsalltag von Prostituierten, die in Deutschland arbeiten – ein zeitgemäßer Blick auf intimste Wünsche und Probleme innerhalb einer von jeher boomenden und noch immer tabuisierten Dienstleistungsbranche. Julia Roesler (Regie), Insa Rudolph (Musik) und Silke Merzhäuser (Dramaturgie), gemeinsam der Kern der Gruppe, entwickelten zusammen mit dem Deutschen Theater eine verdichtete, auf Interviews basierende Textfassung, die klar im Vordergrund der Inszenierung steht. Von der Sexualtherapeutin über die Domina aus Leidenschaft bis zur ausgebeuteten Migrantin reicht das Spektrum von Sexarbeiterinnen, denen stets eine oder mehrere reale Stimmen zugrunde liegen.
„Rotlicht“ ist die vierte recherchebasierte Stückentwicklung, die in Kooperation mit dem DT nach „Friedland“ (2009), „Soldaten“ (2011) und „Zirkus“ (2012) entstand. Handelte es sich 2006 in den Anfängen...