Das Theater leben: DIE HANDLUNG
2 Ich bin ein Sklave
von Julian Beck
Erschienen in: Das Theater leben – Der Künstler und der Kampf des Volkes (05/2021)
Ich bin ein Sklave, der aus Ägypten kam. Ich habe eine Sklavenmentalität. Aus dem Haus der Sklaverei ins Haus der Lohnarbeit. Als wir vor dreitausendfünfhundert Jahren von einer Kultur in die andere zogen, dachten wir, jetzt wären wir unsere eigenen Herren. Welche Illusion! Einen politischen Herrscher wurden wir los, waren zu unerfahren, unterschätzten die Rolle des Zahlmeisters, des Polizeichefs, der Stützen der Gesellschaft.
Uns war prophezeit (als wir um das Goldene Kalb tanzten): kostbare Edelsteine, Kriegsschiffe, Überfluss, Untergang usw. Noch immer tanzen wir um den falschen Gott – kaltes Metall, Mammon, Idol des Reichtums, und deshalb sind wir noch immer in der Wüste. Als wir das Gelobte Land erreichten, trugen wir das Goldene Kalb mit uns; nicht auf unseren Schultern, sondern im Herzen, und verwandelten das Land in eine Wüste, den ureigenen Ort des Goldenen Kalbes: denn der Glanz des Goldes (Strahlung) lässt das Laub verdörren, lässt die Flüsse (das Blut) und die Gefäße des Herzens versiegen. Das Goldene Kalb ist ein falsches Versprechen.
Viele meiner Brüder haben feuchte Träume von all ihren Schmerzen und Erniedrigungen, aber so bin ich nicht: Ich bin der Sklave, der sich lauter Fluchten ausmalt; von nichts anderem kann ich träumen als von Flucht, dem...