In Rezensionen zu den Performances Angélica Liddells fallen die Worte „radikal“, „extrem“ und „intensiv“ so sicher, wie sich die Künstlerin in ihren Arbeiten selbst zum Thema macht. Gern gebärdet sich die 1966 geborene Spanierin als Madame Extra-Crazy. Der neueste Teil ihres „Auferstehungszirkels“ trägt den umständlichen Titel „Primera carta de San Pablo a los Corintios. Cantata BWV 4, Christ lag in Todesbanden. Oh, Charles!“. Liddell nutzt das biblische Hohelied der Liebe für eine ganz eigene Auseinandersetzung mit menschlichen Obsessionen. Dabei dient ihr die Liebe als Gipfel des Profanen wie des Heiligen, wobei die Gottesliebe als übertriebenste Form der Hingabe erscheint.
Im Frankfurter Mousonturm, der den Abend koproduzierte, ist die Bühne von verheißungsvoll rot glänzendem Samt verhüllt. Allein das setzt ein Assoziationsgeschwader in Gang: vom Theatervorhang bis zum Blut Christi. Unter dem Tuch erheben sich drei Podeste, womöglich ein Sinnbild für die drei Kreuze von Golgatha, vielleicht aber auch eine Anspielung auf die Dreifaltigkeit. Den Hintergrund begrenzt in jedem Fall Tizians berühmtes Ölgemälde „Die Venus von Urbino“, das eine nackt hingestreckte junge Frau zeigt, deren linke Hand scheinbar lässig auf ihrer Scham ruht. In diesem Spannungsfeld zwischen Weiblichkeit, Katholizismus und Gottesfurcht bewegt sich der eineinhalbstündige Abend, der lustvoll pathetisch ausschreitet und zuweilen...