7. Stillgestanden!
Erschienen in: Eine Puppe packt aus – Dokumentarroman (07/2023)
Für mich heißt es immer noch warten, warten und nochmals warten. Obwohl ich mich langsam ans Bär-Sein gewöhnt habe, ist Warten nicht mein Ding. Ich kann es bis heute nicht leiden, wenn jemand zu spät kommt. Aber Fluch ist Fluch und ich will mich demütig in mein Schicksal fügen.
Ich lebe anderthalb Jahre allein im Hinterhof der Immanuelkirchstraße 22, denn Jonas wird zum Grundwehrdienst eingezogen und als Kanonenfutter in ein Schützenpanzer-Regiment rekrutiert. Er soll in der Nähe von Torgelow, dem Land der drei Meere – Sandmeer, Waldmeer, Nichtsmehr – glattgeschliffen werden. Es wird die sinnloseste Zeit seines Lebens.
Mein Schützling wird umsorgt von brüllenden Offizieren, schikanierenden Gefreiten und dummen Unteroffizieren. Er spielt auch in diesem Kollektiv die Rolle des Klassenkaspers, die des Aufwieglers. Er findet unter den Leidensgefährten einige gute Freunde. Die ersten sechs Monate der Grundausbildung zum Aufklärer verbringt er den wohlverdienten Feierabend mit dem Putzen von Klobecken.
Bewaffnet mit einer Rasierklinge zum Abkratzen der Urin- und Kotreste, lernt er die Ruhe dieses Örtchens zu lieben. Glücklicherweise ist er schon so süchtig und voller Vorfreude auf das Leben danach, dass er die Rasierklinge nicht zum Suizid nutzt. Da Jonas, so wie ich, mit einer Glückshaut auf die Welt geworfen...