Verhandlungen von kultureller Vielfalt: Von der sozialen Theatralität über das postdramatische Theater zur Ästhetik der Entähnlichung
von Julius Heinicke
Erschienen in: Recherchen 148: Sorge um das Offene – Verhandlungen von Vielfalt im und mit Theater (05/2019)
Sollte der Begriff Ästhetik im Kontext von kultureller Vielfalt Anwendung finden? In den letzten Kapiteln wurde einerseits das Feld des Ästhetischen problematisiert, da viele Konzepte nicht nur von einem primär westlichen Verständnis ausgehen, sondern andere Kunsttraditionen negieren oder der eigenen Systematik einverleiben. Andererseits wurden weitreichende Wandlungsprozesse in Theater- und Performanceproduktionen und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung und Theoretisierung beobachtet. Soziale, gesellschaftliche und kulturelle Kontextualisierungen und Besonderheiten rücken deutlich in den Vordergrund und verweisen auf die Unzulänglichkeit verallgemeinernder und Universalität beanspruchender Vorstellungen von Realismus, Ästhetik und Theater, die meist im westlichen Kontext formuliert wurden. Aufgrund der zunehmenden gesellschaftlichen und kulturellen Vielfalt ist davon auszugehen, dass Theater und Performances, die sich dieser Vielfalt annehmen, nicht in Gänze entschlüsselt und von allen Teilnehmenden verstanden werden können. Theater und Performance kann auf diesem Feld nicht mehr als Stätte der Selbstvergewisserung beziehungsweise Festigung einer bestimmten kulturell-gesellschaftlichen Identität zum Tragen kommen, vielmehr kann es seine Wirkungsmacht in der Erfahrung von Verschiedenheit, Anderssein, Wandel und Vielfalt entfalten.
Vor diesem Hintergrund ist Fiebachs Ansinnen, Theatralität der Ästhetik als Konzept vorzuziehen, nachvollziehbar. Für seine internationalen Forschungen scheint der Begriff der Ästhetik mit seinem „Stallgeruch“ nach Aufklärung und Autonomie wenig Sinn zu machen. Ihn interessieren vielmehr theatrale Momente, das heißt, performativ gesetzte...