Max Reinhardts Glockensymphonie
Erschienen am 1.7.1946
Es gibt Menschen, die man alle Tage um sich sieht, ohne je mehr als ihre Oberfläche zu gewahren, und andere, denen man im Laufe eines Lebens nur ein paarmal begegnet und die man jedes Mal wieder als Wahlverwandte und Freunde begrüßt.
Max Reinhardt gehörte für mich zu dem letzteren Typ. Seit meiner Studentenzeit habe ich ihn nur fünf-, sechsmal gesehen, und immer waren Jahre zwischen den Begegnungen verflossen. Aber wir waren einander nie fremd geworden.
Lassen Sie mich von meiner letzten Begegnung mit Reinhardt berichten. Wir saßen im Garten seiner hoch oben in den Hollywood-Hügeln gelegenen Villa und schauten hinunter auf das Lichtgeflimmer von Los Angeles. Wie klein, wie unwirklich erschien von diesem Blickpunkt aus die Welt mit ihrem Reklamegefunkel.
Wir fühlten uns dort oben wie in der Rangloge eines grandiosen Welttheaters, und - mit der brennenden Anteilnahme von Theatermenschen, die zwischen Idee und Erscheinung keinen Zwiespalt gelten lassen wollen - sahen wir im Geiste hinüber zum alten Erdteil mit seinen blutigen Wehen, die uns die Geburt eines neuen Äons ankündigten.
Wir brauchten nicht viel Worte zu verlieren über das Offensichtliche: die Notwendigkeit, eine Vergewaltigung der Völker durch neurotisch entfesselte, brutale Arroganz mit der Kraft der Waffen aller freiheitliebenden Nationen...
Erschienen am 1.7.1946