Wie man Professor wird oder ein Doppelleben
Erschienen in: Lektionen 6: Kostümbild (06/2016)
Mein Professor war jung; seinerzeit war er ein Superstar der internationalen Bühnenbildszene und wenig anwesend. Wir Studierenden haben ihn gefürchtet, geliebt und verehrt: Sein Urteil war Gottes Wort. Viele Verzweiflungstränen flossen; trotzdem oder gerade deshalb haben es einige unseres Jahrganges zu mehr oder weniger Berühmtheit gebracht. Sein Vorgänger, der die Meisterklasse interimsmäßig über Jahre geleitet hatte und seinen Nachfolger hasste, saß – unkündbar und bösartig – im undurchdringlichen Nebel seiner filterlosen Zigaretten in einem kleinen Kabinett: Seine letzte Arbeit an einem Theater lag eine Ewigkeit zurück.
Jahrzehnte später – wenige Tage vor meiner Verbeamtung als Professor auf Lebenszeit und meinem 50. Geburtstag, der Deadline für solche Verfahren – war ich mit Freunden feiern und das amtsärztliche Untersuchungsprotokoll gefährdete tags darauf heftig meine beabsichtigte lebenslängliche Ehe mit einer Hochschule. Ich war gerade zu den Endproben von Manon Lescaut an das Opernhaus Zürich gereist und schrie nachts wütend und innerlich zerrissen über den nebligen Zürichsee: „Na dann eben nicht, ich liebe ohnehin meine Freiheit über alles …“
Es kam dann doch, wie es kommen sollte. Heute sind acht Jahre vergangen; im ersten Jahr habe ich wilde Arabesken geplant, mich gekonnt verbogen, mich schlau und raffiniert durch das Dickicht von Terminen geschlagen: ein...