2. Kapitel
Erschienen in: Die Rampe oder An der Lethe wachsen keine Bäume (06/2013)
Es ist später Vormittag. Die Sonne hat sich wieder einen Wolkenschleier umgelegt. Kramer öffnet das Fenster und schaut durch das blattlose Geäst der Kastanie auf die Felder, die sich bis zum Horizont ausdehnen. Aufgerollte Blätter vom Vorjahr hängen wie schlecht gedrehte Zigarren in den Ästen.
Am nahen Feldrand parkt ein Militärjeep, aus dem heraus zwei uniformierte Männer das Dorf beobachten. Ohne das Fernglas abzusetzen, drehen sie ihre Köpfe unablässig von links nach rechts. Ob sie auch ihn beobachten, weiß er nicht, trotzdem hat er das unangenehme Gefühl, ertappt worden zu sein. Seine Zehenspitzen beginnen zu schmerzen und die Fingerspitzen zu jucken. Nach einiger Zeit beruhigt er sich wieder, sein Atem geht langsamer, und er fühlt, wie die Zeit davonfließt. Ich bin wieder angekommen, freiwillig, und es ist wie immer, eingesperrt und bewacht. Dieses Mal aber scheint das Eingesperrtsein ein anderes Ausmaß anzunehmen. Sie setzten einen Zaun, vielleicht bringen sie sogar Stacheldraht am oberen Rand an. Das hat etwas Bedrohliches und ist nicht nur zur Abschreckung gedacht, sondern macht allen den Ernst der Lage und das Ausmaß der Quarantäne klar. Kramer fragt sich, wie die Dorfbewohner auf ihr Gefangensein reagieren.
Er tritt vom Fenster zurück, geht zum Telefon und wählt die...