1956 stirbt Brecht in Ostberlin. Im selben Jahr erscheint in Frankfurt am Main die „Theorie des modernen Dramas“: Dissertation des Mittzwanzigers Peter Szondi. Gegen seinen reaktionären Zürcher Lehrer Emil Staiger verfasst, zeichnet die Studie Dramenals Konfliktgeschichte und richtet sich so gegen die vorgeblich unpolitische, in Wahrheit tief in den Faschismus verstrickte Germanistik. Nach Szondi ist es im 19. Jahrhundert vorbei mit der „Absolutheit“ des Dramas: seiner Form als „absoluter Gegenwartsfolge“, die auf eine Zukunft gerichtet ist und dem Dialog vertraut. Ein „erzählerisches Ich“ wird entdeckt. Diese neue „Episierung“ führt das Drama in eine Krise: Ibsen lässt seine tatenlosen Figuren wie ein Romancier ihr Innerstes aussprechen und daran sterben; Tschechows Dialoge sind Parodien, weil in den Stücken die zwischenmenschliche Begegnung kein Glück mehr verspricht. In der Studie werden vor allem „Lösungsversuche“ aus dem 20. Jahrhundert untersucht. Entscheidend ist Brecht, denn anstatt neue Inhalte in alte Formen zu pressen, nimmt er es mit seiner Zeit auf und macht die Selbstentfremdung des Menschen zum Formprinzip seiner Werke.
Was Brecht für Szondi ist, ist Heiner Müller für Kai Bremer. In seiner Habilitation „Postskriptum Peter Szondi. Theorie des Dramas seit 1956“ versucht Bremer die berühmte Studie fortzusetzen und zu erweitern. An Müllers Werk (und zahlreichen...