Schreiend, singend, flüsternd
von Renate Klett
Erschienen in: Zeitgenoss*in Gorki – Zwischenrufe (03/2023)
Das Gorki ist mein Lieblingstheater in Berlin. Auch hier herrscht nicht immer Weltniveau, aber manches kommt dem schon recht nahe. Und auch die versteckten Größen haben immer einen Kick, der einen zum Mitdenken, Erkennen oder Widersprechen reizt. Das kleinste der Stadttheater in Berlin ist auch das agilste und vielfältigste, und das Publikum das gemischteste.
Was ich besonders schätze an diesem Theater, ist die Vielzahl der Regiehandschriften. Und der Nationalitäten. Zum Beispiel Marta Górnicka aus Polen, die für zwei Jahre Artist in Residence am Gorki ist. Sie studierte Theater und Gesang in Warschau und Krakau und hatte sehr früh schon die Idee, einen Chor zum Protagonisten ihrer künftigen Arbeit zu machen: „Ich glaubte an seine Kraft und seine Emotionalität. Schließlich begann ich, mir das Theater neu zu erfinden, eine neue Ästhetik, neue Körpersprachen mit Texten und Bezugspunkten. Und weil der antike Chor nur aus Männern bestand, wollte ich einen Frauenchor.“ So entwickelte Górnicka den kollektiven Körper, der aus lauter Individuen besteht. Die Stücke schreibt sie stets selbst, wobei sie viele Zitate einfügt, von Sophokles bis Jelinek. Körper- und Sprechchoreografie sind bis aufs Kleinste aufeinander abgestimmt, oft sich widersprechend. Ein großer Atem trägt Aufführung und Regisseurin, die stets live vom Zuschauerraum dirigiert,...