Auftritt
Köln: Supersanft
Schauspiel Köln: „Wir wollen Plankton sein“ (UA) von Julian Pörksen. Regie Melanie Kretschmann, Bühne Thomas Garvie, Kostüme Nadja Zeller
von Martin Krumbholz
Erschienen in: Theater der Zeit: Playtime! – Der Theatermacher Herbert Fritsch (05/2017)
Assoziationen: Schauspiel Köln
Sie sind schon am Anfang erschöpft. So sehr, dass sie die Erwartungen an diesen Theaterabend von vornherein herunterdimmen. Wovon die drei so erschöpft sind, teilen sie nicht mit. „Es gibt keinen schlimmeren Ort als die Realität“, das muss reichen. Vielleicht ließe es sich als Plankton gerade noch aushalten – Plankton ist die Gesamtheit aller im Meer lebenden Kleinorganismen, die allein durch das Wasser bewegt werden. Wir erblicken als Zuschauer nicht, so scheint es, das Abbild irgendeiner herkömmlichen Realität, sondern ein Theater – eine Studiobühne mit wenigen Requisiten und einer kreisrunden Spielfläche. Und darauf drei Leute, die einen Theaterabend vorbereiten, mit Dialogen, Monologen, Tänzen und Songs. Diese Module, aber auch die vorwitzigen Kommentare der drei Spieler dazu, stehen wortwörtlich im Buch, ebenso wie die Tatsache, dass die Spieler sich über ihre Abhängigkeit von diesen Vorgaben beklagen, ereifern und – scheinbar – entrüsten.
Julian Pörksen, der Autor des Stücks „Wir wollen Plankton sein“, der auch als Dramaturg tätig ist, will offenbar darauf hinaus, dass Scherze mit der Metaebene der Realität des Theaters sich stets im Kreis drehen. Es gibt kein Entkommen – es sei denn, die Spieler würden sich tatsächlich vom Text emanzipieren, würden rebellieren, improvisieren, aussteigen. Seit Ludwig Tiecks und Luigi Pirandellos Zeiten – „Heute Abend wird aus dem Stegreif gespielt“ – weiß man allerdings, dass so etwas nicht passiert beziehungsweise, wenn es passiert, vom Autor so geplant ist. Also wiederum nicht passiert.
Wenn nun das Kunststück gelingt, „aus dieser fundamentalen Sackgasse“ – die graue Katze des Theaters beißt sich in den Schwanz – „so etwas wie einen Höhenflug zu machen“ (so Carl Hegemann auf dem Rücken der Buchausgabe des Stücks), dann vor allem deshalb, weil der Text in der Kölner Inszenierung von Melanie Kretschmann mit viel Charme exerziert wird. Die Regisseurin spielt auch gleich selbst mit: als Mutter der Theaterkleinfamilie, zu der ein erwachsener Sohn (Micha, gerne auch „Liebling“ genannt) und ein ebenso erwachsener – oder ebenso junger – Liebhaber namens Yorick gehören, die einander ein bisschen, aber wirklich nur ein bisschen, eifersüchtig in die Quere kommen. Denn wenn an diesem Abend Namen durch Kosewörter ersetzt werden, hat das einen Grund: Man geht in diesem Biotop supersanft miteinander um. Ob das etwas mit den Eigenschaften von Plankton zu tun hat, lässt sich schwer sagen, jedenfalls scheint hier jeder Ton, jede Geste in Watte gehüllt. Oder in Zuckerwatte, die im Foyer der Außenspielstätte Offenbachplatz denn auch zum Verkauf angeboten wird.
Der besonders sanfte, aber auch besonders sympathische Yorick, gespielt von Yuri Englert, bemerkt einmal, Künstler dächten immer, ihre Ideen gäben ihnen das Recht, ihr Publikum zu quälen, mit Stille, mit Vorwürfen, mit Unverständlichkeit. Diese Form von Arroganz braucht an diesem Wellnessabend im Kölner Theater niemand zu befürchten. Manches geht leicht daneben, „sitzt noch nicht“, wie die Mutter/Regisseurin Kretschmann kritisch bemerkt, zum Beispiel, wenn der an sich famose Niklas Kohrt die Anekdote über seinen Großvater im Ersten Weltkrieg in eine pubertäre Schrei-Arie ummünzt. Aber das Prinzip der Aufführung ist ja, dass sie, scheinbar, noch keine Aufführung ist, sondern eine Art Nummern-Revue im Probenstadium. Zwischendurch geht die Mutter mal kurz baden, aus Erschöpfung vermutlich, und zwar buchstäblich, nicht im übertragenen Sinn. Die verbliebenen Männer können dann ihre Rivalität recht virtuos in Zuckerwatte packen. Wenn die Mutter und ihr Freund „ficken“ wollen (das ist in Wahrheit wiederum ein Tänzchen), verzieht der Sohn sich schmollend, aber diskret. So nimmt alles seinen Lauf. Theorien, zum Beispiel übers Glück oder über abwesende Väter, werden kurz gestreift und wieder fallengelassen. Mehr Gewicht als die Bürde der transzendentalen Obdachlosigkeit hat die drohende nächste Erschöpfung. Immerhin bleibt den Spielern am Schluss die Kraft – es ist ein schöner Einfall der Regisseurin –, ihren ganzen Kram in einen Planwagen à la Courage zu stopfen und auf und davon zu ziehen. Zumindest bis zum Applaus und bis ins Foyer. //