Parforce-Ritt und Performance
von Daniel Wesener
Erschienen in: Zeitgenoss*in Gorki – Zwischenrufe (03/2023)
Mein Gorki-Moment war irgendwann in der ersten Jahreshälfte 2017, den exakten Zeitpunkt weiß ich leider nicht mehr. Es war auch keiner der vielen glücklichen Theaterabende, die ich zuvor oder danach dort verbracht habe, geschweige denn eine konkrete Inszenierung. Mein Gorki-Moment war ein Arbeitstermin, genauer gesagt: ein Antrittsbesuch, und zwar in meiner noch ganz jungen Rolle als kulturpolitischer Sprecher der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus.
Shermin Langhoff war ich bereits knapp zehn Jahre vorher über den Weg gelaufen, damals als Bezirksverordneter, kurz nachdem sie die künstlerische Leitung am Kreuzberger Ballhaus Naunynstraße übernommen hatte. Die künstlerische Entwicklung – von der Kiez-Spielstätte zu einem europäischen Kristallisationspunkt des postmigrantischen Theaters – durfte ich als Zuschauer miterleben.
Nun also eine Art Wiedersehen, eigentlich das erste richtige Kennenlernen, an anderem Ort und in anderen Funktionen. Dazu sollte man wissen, dass Antrittsbesuche zum Standardrepertoire der Politik gehören und in der Regel so artig verlaufen, wie die Bezeichnung nahelegt. Natürlich war ich inhaltlich bestens vorbereitet; nur eben nicht auf das, was mich im Arbeitszimmer der Intendantin erwartete. Ich erinnere mich kaum mehr an die Einzelheiten des vermutlich gut anderthalbstündigen Gesprächs. Zumal das eher einseitig verlief, nämlich als eine Art Philippika meines Gegenübers. Oder besser noch: als ein performativ wie...