Auftritt
Theater der Altmark Stendal: Glorreiche Arbeit
„Shenzhen bedeutet Hölle“ von Stefano Massini (DSE) – Regie Patricia Hachtel, Ausstattung Mark Späth, Digital Artist Razan Naser Eddin
von Lara Wenzel
Assoziationen: Theaterkritiken Sachsen-Anhalt Patricia Hachtel Theater der Altmark Stendal

Apple-Watch, Playstation und ein E-Reader von Kindle? Das gibt eine hohe Punktzahl im Foxconn-Bingo, dass sich das Theater der Altmark ausgedacht hat. Besitzt man ein Produkt von Apple, Microsoft oder Google stammen Teile davon mit großer Wahrscheinlichkeit aus den Produktionshallen des größten Elektronikherstellers der Welt. 2010 geriet der Standort im chinesischen Shenzhen in die Schlagzeilen, weil 15 Beschäftigte aufgrund der schrecklichen Arbeitsbedingungen Selbstmord begingen. Im einstündigen Monolog „Shenzhen bedeutet Hölle“ von Stefano Massini, der sich dem fiktiven Konzern Osiris widmet, tauchen die Arbeiter:innen der Foxconn-Fabrik gar nicht auf.
Für menschliche Regungen außerhalb der Produktionsnorm ist kein Platz auf der Bühne. Nur die Inspektorin, die Katrin Heinke ausdauernd bohrend spielt, spricht, raucht und wartet auf das Aufleuchten der vier Bildschirme: Grün für ja, rot für nein. Die Arbeiter:innen, die für ihre Leistung das doppelte Monatsgehalt bekommen sollen, sind auf Nummern und Piktogramme reduziert. Sie erscheinen auf der Bühne als eines der Produkte, das sie tausendfach zusammenschrauben. Meinungen will die Inspektorin in ihrem Verhör nicht hören. Sie ist hier, um die vier Bildschirme mit Aufgaben und Fragen zu strapazieren, bis sich alle eine Abweichung erlauben und offenbaren, dass sie weder eins mit dem Unternehmen noch ihren Waren sind.
Patricia Hachtel inszeniert die deutsche Erstaufführung in einer reduzierten Blackbox. Im Business-Anzug steht die Inspektorin den vier Bildschirmen gegenüber, über ihr blicken zwischen den Scheinwerfern ein paar Überwachungskameras hervor. Während sie die Arbeiter:innen berechnend mit Fragen manipuliert und gegeneinander ausspielt, wird auch sie beobachtet und auf Effizienz geprüft. Schnell wird klar, dass bei diesem Spiel niemand gewinnen kann. Auch deshalb wirkt der minimalistisch inszenierte Schlagabtausch zwischen Mensch und Maschine bald ermüdend.
Immer wieder werden die Arbeiter:innen in die Falle gelockt. Auf die Frage: „Hast du das doppelte Gehalt verdient?“ antwortet Arbeiter 4 mit Ja und verliert seinen Arbeitsplatz, weil er so das Urteil des Unternehmens infrage stellt. Würde er verneinen, hätte er sich ebenso um den Bonus gebracht. Dabei rechnet die Inspektorin sogar vor, dass jeder Arbeiter monatlich 1.000 Motherboards zusammensetzt, womit das Unternehmen 50.000 Yen erwirtschaftet. 9.000 Yen fallen davon als Lohn ab. Kann es auf diese Rechnung eine andere Antwort als die Enteignung der Produktionsmittel geben?
Ein Ausweg aus dem Fragenlabyrinth bietet die sich einsam auf der Bühne aufreibende Inspektorin nicht. Von einem Tablet – auch ein Foxconn-Produkt? – liest sie die Daten und Fakten ab, aus denen sich die Angestellten für sie zusammensetzen: geleistete Überstunden, fehlende Krankentage und Feiertagsschichten. Aber auch jenseits der gestempelten Arbeitszeit bleibt dem Unternehmen nichts verborgen. Die von Foxconn inspirierte Firma kennt ihre Familien und Freunde, Wünsche und Ängste, die sich in den Ritzen zwischen der Akkordarbeit offenbaren. Nicht nur ihre Arbeitskraft, ihren gesamten Lebenshorizont will sich das Unternehmen aneignen. Doch hinter der mustergültigen Oberfläche regt sich Widerstand: Gedichte machen in der Werkshalle die Runde.
Zeilen wie der titelgebende Satz „Shenzhen bedeutet Hölle“ erinnern an die Lyrik des chinesischen Wanderarbeiters Xu Lizhi, der sich 2014 mit 24 Jahren in den Tod stürzte, weil er die Zustände in der Foxconn-Fabrik nicht mehr ertrug. Seine Verse dokumentieren eine trostlose, ausgebeutete Jugend. Diese Erfahrung des Proletariats findet kein Echo in der Staatsliteratur der kommunistischen Volksrepublik Chinas. In der Inszenierung tauchen diese Schicksale nur in Randbemerkungen auf. So behält die Inszenierung ihre Gemeingültigkeit. Sie fängt die Realität von Millionen Arbeiter:innen ein, die jeden Tag ihre Austauschbarkeit zu spüren bekommen, während sie die Waren produzieren, die unsere Gesellschaft am Laufen halten.
Erschienen am 10.4.2025