ästhetik der gebrochenen sprache
von Julia Reichert
Erschienen in: Love Play Fight – Dein Neumarkt 2019-2025 (06/2025)

Lubna Abou Kheir porträtiert eine Welt, über die es keine ganz eindeutige, zusammenhängende Erzählung mehr geben kann. Analog zu den Gefühlswelten der Figuren sind auch Text und Geschichte fragmentiert und von Auslassungen und Widersprüchen durchzogen. Ihr Schreiben ist zugleich konkret und verspielt. Sie verbindet im sprachlichen Aneignungsprozess die Direktheit der deutschen Sprache mit der Opulenz arabischer Sprachbilder, sie mischt Alltagssprache mit stilisiertem Ausdruck, sie überhöht alltägliches Sprechen ins Skizzierte, Lyrische, sie schafft poetische Distanz, da, wo die Figuren und die Handlung zu direkt ins Jetzt einzubrechen drohen. Realistische Dialoge, poetische Monologe, Facebook-Posts und prosaische Passagen – verschiedene Formen stehen mit und gegeneinander. Auch filmische und digitale Medialitäten klingen im Schreiben wieder: Chats, Emojis, Telefonate. Der Text ist durch viele Übersetzungsvorgänge, Sprach- und Medienwechsel geprägt. Es finden sich Übertragungen arabischer Redewendungen wie «gelbes Lachen», «wie eine alte Kartoffel, die geworfen wird», klangliche Verschiebungen «wichtig/witzig», «leben/lieben» «Gegenzug/Gegenteil», Sprachwechsel ins Englische und Französische und Wortneuschöpfungen, wie z. B. «Vakuumzeit» und «Wildmensch». Wiederkehrende Motive sind das immer wieder neu anfangen, die Konstruiertheit und damit auch Veränderbarkeit von Karten und Grenzen, die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen von Übersetzbarkeit von Sprachen und der Kommunizierbarkeit von Erfahrung, und die verschiedenen Farben des Regenbogens, die sich zu...