Magazin
Realer Futurismus
Die Berliner Festspiele beleben für kurze Zeit den Monumentalkörper ICC
von Tom Mustroph
Erschienen in: Theater der Zeit: Volksbühne Neu (11/2021)
So schafft man Liebhaber. Ein gefühltes halbes Menschenleben lag das Berliner ICC wie ein an den Strand gespülter Riesenwal an der einstigen Rennstrecke Avus. Leblos, ja sterbend wirkte auch der Bau. Seit der Schließung im Jahre 2014 lag er, unterbrochen nur von einer Zwischennutzung als Geflüchteten-Unterkunft, grau und vor sich hin staubend in Berlins Verkehrslärm.
Im Oktober, zur Feier des 70. Geburtstags der Berliner Festspiele, schaltete der scheidende Intendant Thomas Oberender für zehn Tage noch einmal die Lichter an. Es ist seine wohl größte Tat in der gesamten achtjährigen Intendantenzeit. Denn er ließ nicht nur Luft rein in die knapp eine Million Kubikmeter umbaute Fläche (313 Meter Länge, 89 Meter Breite, fast 40 Meter Höhe) sowie Strom und Wasser fließen. Vor allem ließ er Menschen hinein, die vom futuristischen Interieur schwer begeistert waren. Die Schritte gedämpft vom Teppichboden mit dem Kugelmuster blickte man aus den abgerundeten Fenstern auf die Dächer der Stadt und den danebenstehenden Funkturm, der seinerseits wie eine startbereite Rakete wirkte. Man betrat Säle wie den riesigen, 5000 Menschen fassenden Kongresssaal. Auch kleinere Säle begeisterten aufgrund der Paneele an der Decke, die ebenfalls Raumschiff-Futuristik ausstrahlten, den transparenten Übersetzerkabinen, die sich im Halbrund um das Zentrum schmiegten. Die Vintage...