Der Weg des Ästhetischen ins Offene: Anne Imhofs Faust
von Julius Heinicke
Erschienen in: Recherchen 148: Sorge um das Offene – Verhandlungen von Vielfalt im und mit Theater (05/2019)
Assoziationen: Anne Imhof
Dennoch blitzt die Vision einer kommenden Weltgemeinschaft der Verschiedenheit und Vielfalt in rezenten Kunstproduktionen immer wieder auf, und es wird die Aufgabe der Kunst- und Kulturwissenschaften sein, diese Impulse der ästhetischen Praxis im wissenschaftlichen Denken und Forschen aufzugreifen. Über Anne Imhofs Faust auf der Biennale in Venedig im Jahr 2017 ist in den letzten Monaten viel geschrieben worden. Einhellig wird das Aufbrechen tradierter Grenzen von Kunstgenres, das gelungene Verweben von abendländischen Stoffen mit gegenwärtigen Herausforderungen, von Innen und Außen, und insbesondere der in verschiedene Richtungen sich stets neu konstituierende Erfahrungs- und Aufführungsraum gefeiert.255Tatsächlich schafft Imhof einen Rahmen, in welchem die Zuschauer*innen verschiedene Phasen erleben, die als grundlegend und zukunftsweisend für die ästhetische Erfahrung der Entähnlichung gelten können.
Die Besucher schweifen auf dem historischen Giardini-Gelände von einem Pavillon zum nächsten, sie sind Passanten, welche die aktuellen Positionen ausgewählter Länder und Künstler begutachten. Das Äußere des deutschen Pavillons verstört zunächst und lässt tagespolitischen Assoziationen freien Lauf. Ein großes Gitter wie ein Zwinger umgibt Teile des Gebäudes, in ihm wachen zwei deutsche Dobermänner. Läuft gerade eine aktuelle Performance, drängen Massen in das Gebäude, sonst tröpfeln einzelne Besucher in den Pavillon hinein und sind gespannt, was passiert, wenn sie den Glasboden betreten,...