20.2.3 Regeln in Langformen
Erschienen in: Improvisationstheater – Die Grundlagen (10/2018)
Die besten Langformen begnügen sich mit einer oder zwei Regeln, aus denen sich eine spezielle Poesie der Form ergibt.
Die einzige Regel des anti-narrativen Formats Roter Faden111 lautet: Es gibt einen Gegenstand auf der Bühne, der nie von der Bühne verschwindet. Das heißt, wir sehen stets nur das, was der Gegenstand „sieht“. Wenn eine Person den Gegenstand an sich nimmt und die Szenerie verlässt, dann „wandert“ die Handlung mit dem Gegenstand mit. Für sich genommen klingt diese Regelbeschreibung wohl extrem trocken, aber sie führt zu einem der schönsten Formate: Wir erleben poetische Momente des Vorbeigehens: Liegt der Gegenstand zum Beispiel in einem Café, hören wir angefangene Gespräche, unterbrochene Szenen – so wie wir es auch im normalen Leben erfahren. Das heißt: Dieses Format öffnet dem Zuschauer die Augen für poetische Momente seines eigenen Alltags.
Wenn wir die Poesie dieses Formats verstanden haben, wird klar, dass wir uns hier im Grunde in einem radikalen AlltagsKontext befinden. Und selbst wenn es die Regel des Formats gar nicht ausschließt, würde es die Poesie und den Geist des Formats sprengen, wenn hier plötzlich Aliens auftauchten.
Manche Formate sind inhaltlich offener als andere: Das Quintett112 zum Beispiel ist lediglich durch den kurzszenigen Rhythmus...