2.4 Freiheit vor dem Urteil anderer
von Dan Richter
Erschienen in: Improvisationstheater – Die Grundlagen (10/2018)
Die Angst, in der Öffentlichkeit zu sprechen (also das Lampenfieber), gilt im Buddhismus als eine der fünf großen Ängste.11 Sie ist im Prinzip nachvollziehbar: Wir setzen uns dem Urteil anderer aus. Und dieses Urteil kann uns, so sachlich es auch formuliert sein mag, persönlich treffen. Jeder Künstler lebt mit seinen spezifischen Kritik-Ängsten, die teilweise sehr tief sitzen. Tänzer werden für ihren Körper und ihre Bewegungen kritisiert, Sänger für ihre Stimme, Schriftsteller für ihre Sprache. Bei Improtheater-Spielern kommt vieles zusammen. Die Mannigfaltigkeit dieser Kunst – Grazie des Ausdrucks, sinnvoller Inhalt, Bewegung, Timing – all das lässt sich nicht nur genießen, sondern eben auch kritisieren. Als Impro-Spieler müssen wir uns von dieser Angst, die auf subtile Weise selbst den scheinbar lockeren Impro-Profi befällt, befreien. Dafür müssen wir drei große gedankliche Schritte gehen.
Der erste Schritt ist die Annahme, dass das, was ich mache, für mich selber OK ist. Es gibt das Klischee des etwas abgehobenen Künstlers, der sich nicht darum schert, was das Publikum von seinem Werk hält. So wichtig auch die Verbindung zum Publikum ist – eine kleine Prise dieser Abgehobenheit braucht jeder Künstler und jeder Impro-Spieler. Gäbe es sie nicht, hätte sich die Kunst nie weiterentwickelt. Hätten nicht in...