Magazin
Reisebüro Rinck: Kritik der Motorkraft
von Monika Rinck
Erschienen in: Theater der Zeit: Sie sind zurück – Vegard Vinge und Ida Müller im Nationaltheater Reinickendorf (09/2017)
Auf der Bühne vollzieht sich der erste Auftritt des Schlitzertaxifahrers in einem hellblauen Uniförmchen. Es ist die achte Ausgabe seiner Poetikdozentur zur Straßenverkehrsordnung, und die ersten sieben haben wir verpasst. Er wirkt so mild, als wollte er an uns riechen, versichert sich mit einem schnellen Rundblick der Aufmerksamkeit des Auditoriums und sagt: „Die Urteilskraft ist die Vermittlungsinstanz zwischen Verstand und Vernunft, sie ist immer in Bewegung und wird von einem Verbrennungsmotor angetrieben. Es waren die Krise der Intuition und das Misstrauen in die Möglichkeiten einer autonomen Deutung, die die Urteilskraft anwiesen, sich zu informieren, was in erster Linie zu einer gewaltigen Überproduktion von Metatext führte. Hören Sie mir zu! Jede potenzielle Verstörung war zunächst als beabsichtigt auszuweisen, am ästhetischen Horizont musste unbedingt bekannt gegeben werden, dass der Künstler sich der Problematik, die er aufrief, bewusst war. Die Urteilskraft wurde täglich dünnhäutiger, wie ein Wiesel flitzte sie zwischen Verstand und Vernunft hin und her, als wollte sie ihre eigenen Wege mit jeder neuen Wiederholung löschen. Existierende Stereotype machten indes unbeschadet weiter und setzten sich in den Räumen der Entmischung fort. Dies hatte weitere Spaltungen zur Folge. Zwei Kolben befanden sich am oberen Totpunkt, die beiden anderen stockten am unteren Totpunkt. Vorfabrizierte...