Magazin
Flucht vor Folklore
Mit dem Festival Eurothalia will sich das Deutsche Staatstheater in Timişoara unverzichtbar machen
von Matthias Dell
Erschienen in: Theater der Zeit: Feuer und Eis – Theater im ostsibirischen Jakutsk (01/2015)
Die Kopfhörer sind ein Relikt des rumänischen Staatssicherheitsdienstes. In den 1980er Jahren begnügte sich die Securitate im Deutschen Staatstheater Timisoara / Temeswar (DSTT) nicht mehr damit, Zusammenfassungen der gespielten Stücke zu lesen, sie wollte jedes auf der Bühne gesprochene Wort verstehen. Deshalb wurden Kopfhörer mit Simultanübersetzung eingeführt, damals noch verdrahtet. Heute dient der über Funk gesendete Text nicht mehr der Überwachung durch ungebetene Gäste, sondern erfüllt einen zivilen Nutzen: Das deutschsprachige Theater soll allen offenstehen. Friedrich Kittler hätte seine Freude gehabt.
Rund 320 000 Menschen leben in Timisoara, nur noch ein paar Tausend davon sind Nachkommen jener deutschen Minderheit, von deren einstiger Größe eine Einrichtung wie das Deutsche Staatstheater kündet. Das residiert in einem stolzen Theaterbau, der sich mit einer ziemlich wuchtigen Betonfassade der Piata Victoriei, dem Siegesplatz, zuwendet. 1989 fanden hier die ersten Demonstrationen gegen Ceausescu statt, und im November 2014, 25 Jahre später, am Tag der Eröffnung des Festivals Eurothalia im Deutschen Staatstheater, sieht es fast nach einem Reenactment aus: Ein paar Hundert Leute sind zusammengekommen, um eine Woche vor der Stichwahl zur rumänischen Präsidentschaft für Klaus Iohannis, den Bürgermeister von Sibiu (Hermannstadt), zu demonstrieren. Den tatsächlich knappen Sieg des deutschstämmigen Iohannis über den amtierenden Ministerpräsidenten Victor Ponta...