Theater der Zeit

Vorwort

von Nadja Blickle und Wolfgang Schneider

Erschienen in: Starke Stücke – Theater für junges Publikum in Hessen und Rhein-Main (03/2019)

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Der Rat für darstellende Kunst und Tanz im Deutschen Kulturrat hat 2018 in einer Stellungnahme gefordert, „jedem Kind und jedem Jugendlichen mindestens zweimal im Jahr ein Tanz- und Theatererlebnis zu ermöglichen“. Die Bürger*innen Hessens haben 2018 per Volksentscheid dafür votiert, die Landesverfassung um das Staatsziel Kultur zu ergänzen. Denn das Bundesland inmitten Deutschlands hat eine ausgeprägte Kulturlandschaft, die es zu schützen und zu fördern gelte. Diese ist sowohl städtisch als auch ländlich geprägt und zeichnet sich durch eine große Vielfalt aus – das eine Zentrum gibt es nicht, weder geografisch noch kulturell. Die Theaterlandschaft für junges Publikum ist bestimmt von vielen einzelnen Akteur*innen, vor allem aus der freien Szene, welche sich als Folge der politischen Bewegungen nach 1968 entwickelte. Aber auch die hessischen Staatstheater in Kassel, Wiesbaden und Darmstadt wenden sich zunehmend einem jungen Publikum zu. Trotz oder vielleicht gerade wegen des fehlenden Mittelpunkts entstanden in den letzten Jahrzehnten erstaunlich viele Verbindungen und Netzwerke.

Das Festival Starke Stücke bringt international herausragende Theaterstücke für ein junges Publikum auf die Bühnen der Rhein-Main-Region. Und das seit nunmehr 25 Jahren! Auch das KUSS-Festival des Hessischen Landestheaters Marburg kann auf fast ein Vierteljahrhundert Präsentation zeitgenössischen Kinder- und Jugendtheaters zurückblicken. Die Festivals in Marburg und Rhein-Main sind ebenso wie die Veranstaltungen von FLUX oder das Frankfurter Autor*innen forum wichtige Treffpunkte für die Künstler*innen, die sich auch im Arbeitskreis Südwest der ASSITEJ organisieren. Die ASSITEJ, die Internationale Vereinigung des Theaters für junges Publikum, hat ihren Sitz in Frankfurt am Main und ist Rechtsträger des ebenso dort ansässigen Kinder- und Jugendtheaterzentrums in der Bundesrepublik Deutschland. Die KulturRegion FrankfurtRheinMain vernetzt die kommunalen Kulturveranstalter*innen und ermöglicht die einzigartige Organisationsform des Starke-Stücke-Festivals. TuSCH bringt Theater und Schule zusammen, FLUX und Kaleidoskop bringen Theater für junges Publikum in den ländlichen Raum. Die Hessische Theater akademie versteht sich als dezentrale Ausbildungsstätte. Die nächste Generation von Theaterschaffenden zwischen Gießen, Marburg und Frankfurt steht in den Startlöchern, um das Kinder- und Jugendtheater neu zu denken. Das Projekt next generation workspace befördert diese Entwicklung. Initiativen wie das Schultheater-Studio Frankfurt, das Starke-Stücke-Work shop-Programm oder der Verein SchulKultur in Marburg vernetzen die vielen freischaffenden Theaterpädagog*innen und geben ihnen ein Forum. Im Bereich Figurentheater gibt es die Festivals in Steinau an der Straße und das Festival Blickfang im Rahmen des Kultursommers Nordhessen sowie engagierte Einzelküns tler*innen, die durch die Lande touren. Im Bereich Tanz agieren Künstlerhaus Mousonturm, Tanzplattform Rhein-Main und Hessisches Staatsballett, die das junge Publikum zunehmend für sich entdecken. Auch in Kassel entwickelt sich eine immer lebendigere Szene, die bei den Kasseler Kindertanztagen auch mit internationalen Produktionen zusammen präsentiert wird. In Darmstadt bespielen mehrere freie Gruppen gemeinsam das Theater Moller Haus. In Frankfurt am Main wird um ein eigenständiges städtisches Kinder- und Jugendtheater gerungen. Seit vielen Jahren gibt es dort die Theater macher*innen um das Theaterhaus und Theater Gruene Sosse, die die Frankfurter Szene prägen. Sie sind mittlerweile auch international vernetzt und wissen, dass es einen langen Atem braucht, um Kinderund Jugendtheater nachhaltig zu etablieren. Das theaterperipherie geht einen ganz eigenen Weg. Es bringt Akteur*innen direkt aus dem Leben auf die Bühne und streitet für ein teilhabeorientiertes, barrierefreies Theater. Hessen ist auch das Land der Brüder Grimm und deren Märchen bieten auch heute noch Stoffe für das Theater zwischen Hanau, Kassel und Steinau an der Straße. Diese facettenreiche Theaterlandschaft wird im vorliegenden Buch in Beiträgen, Gesprächen und mit Fotos abgebildet.

Die Publikation versteht sich als Forum von Expertisen, zeigt Stärken, diskutiert Qualitäten und plädiert für die Vernetzung des Theaters für junges Publikum als Potential kommunaler und föderaler Kulturpolitik. Sie möchte die Auseinandersetzung anregen über künstlerische Partizipation und kulturelle Bildung, damit die Vision von mindestens zwei Theaterbesuchen im Jahr für jedes Kind in Hessen und der Rhein-Main-Region Wirklichkeit werden kann.

Wolfgang Schneider und Nadja Blickle

März 2019

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