Karten und ihr Gegenteil
Kollektive und Revolten
von Kathrin Röggla
Erschienen in: Recherchen 116: Die falsche Frage – Theater, Politik und die Kunst, das Fürchten nicht zu verlernen (02/2015)
1. Dystopie
Wir befinden uns an einem scheinbar sicheren Ort: das Krankenhaus am Rande der Arktis. Oder war es die Antarktis? Die Überlebenden der Expedition treffen ein, fühlen sich schon gerettet, zu früh, wie wir bereits ahnen. Sie stolpern als unsere Stellvertreter die Gänge entlang und wollen endlich mal stehen bleiben können; sie wähnen sich schon befreit von dem, was da hinter ihnen liegt, und setzen sich auf die Wartebänke, um nichts als durchzuatmen. Sie glauben, das alles wiederzuerkennen: Rezeptionstheke, technische Geräte, Bürokratie, medizinisches Personal, das allerdings schon arg zerstreut wirkt. Sie glauben, ihre Welt wiederzufinden, die sie einen grauenvollen Moment lang verloren hatten, aber im Grunde erkennen sie nichts wirklich wieder, sie blicken nicht wirklich durch, bis irgendein kleines unscheinbares Detail sie aufmerksam macht: Das Unheimliche war auch hier schon und hat alles an sich gerissen. Die spukhaften Erscheinungen, die sie quer übers Eis gejagt haben, das Ding aus dem All, die Geister der Evolution, sie sind auch durch dieses Krankenhaus gegangen, um sich am Menschen zu rächen, und haben es besetzt, haben aus ihm einen Nicht-Ort gemacht. Sie sind jetzt überall. Es ist kein Entkommen möglich.
Oder: Man hat den Stadtrand erreicht. Die Wildnis hat einen tatsächlich wieder...