prolog
von Bruno Latour
Erschienen in: Arbeitsbuch 2021: transformers – digitalität inklusion nachhaltigkeit (07/2021)
Solange die Erde noch stabil schien, konnte man von Raum sprechen und sich darin und auf einem Stück Territorium, das wir angeblich besetzt hatten, platzieren. Was aber soll man tun, wenn das Territorium selbst an der Geschichte teilzunehmen beginnt, Schlag auf Schlag zurückgibt, kurzum: sich mit uns beschäftigt? Die Bedeutung des Ausdrucks »Ich gehöre (zu) einem Territorium« hat sich gewandelt: Er bezeichnet jetzt die Instanz, die den Eigentümer in Besitz hat!
Das TERRESTRISCHE stellt nicht länger allein den Rahmen menschlichen Handelns dar, es ist vielmehr Teil davon. Der Raum ist nicht mehr der mit ihrem Raster aus Längen- und Breitengraden erfasste der Kartografie, sondern ist zu einer bewegten Geschichte geworden, in der wir selbst nur Beteiligte unter anderen sind, die auf Reaktionen anderer reagieren. Augenscheinlich landen wir mitten in der Geogeschichte.
Sich in Richtung des GLOBALEN aufmachen hieß, auf einen unendlichen Horizont zu immer weiter fortschreiten, eine endlose Grenze vor sich hertreiben; wandte man sich dagegen der anderen Seite zu, hin zum LOKALEN, dann in der Hoffnung, die Sicherheit einer stabilen Grenze und die Geborgenheit einer festen Identität wiederzufinden.
Dass es uns heute so schwerfällt zu erkennen, welcher Epoche wir angehören, rührt daher, dass dieser dritte...