Zu Modekörpern und ihrer Lesbarkeit
von Gertrud Lehnert
Erschienen in: Lektionen 6: Kostümbild (06/2016)
Modekörper
„Le corps est là pour que le vêtement existe“ („Der Leib ist da …, damit die Kleidung existiert“).1 Listig stellt Roland Barthes mit diesem Aperçu die üblichen Annahmen auf den Kopf: dass Menschen Kleidung benötigen, weil sie nackt geboren werden. Zwar stellt Barthes diese Äußerung in einen konkreten Zusammenhang, nämlich seine Ausführungen über den Modezeichner Erté, in dessen ornamentalem Modealphabet die Körper tatsächlich nur notwendiges Übel sind, um die Linien der gezeichneten Kleider zur Geltung zu bringen. Das schränkt die Bedeutung des Aperçus jedoch keineswegs ein. Lässt man sich darauf ein, führt es auf die Spur eines zentralen Verhältnisses zwischen Körper und Kleid in der Mode. Körper und Kleid sind aufeinander angewiesen und dieses Verhältnis ist wechselseitig. Überspitzt gesagt: Der Körper ist da, damit das Kleid existiert, und das Kleid ist da, damit der Körper existiert – nämlich damit er auf eine bestimmte Weise realisiert werden kann: als kultivierter Körper. Daraus resultiert meine These: Körper und Kleid benötigen einander, um zum Modekörper zu werden, jener Amalgamierung von lebendem Körper und leblosem Kleid, in der „ein Drittes [entsteht], das mehr ist als die Summe seiner Teile“.2 Dieses Dritte mag noch so flüchtig sein – aber es existiert immer...