Magazin
kirschs kontexte: Reichsdeutscher Erdbeermund
Zum Fall Kinski
von Sebastian Kirsch
Erschienen in: Theater der Zeit: Frontmann Hamlet – Der Dresdner Musiker-Schauspieler Christian Friedel (03/2013)
Ich habe den Schauspieler Klaus Kinski nie ausstehen können, und seine jüngst bekannt gemachten sexuellen Vergehen an seiner Tochter Pola haben mich höchstens in ihrem Ausmaß überrascht, nicht als Faktum. Allerdings liegt das nicht daran, dass mir irgendwelche Charakteranlagen des „Menschen“ Kinski schon immer verdächtig gewesen wären – auf dieser Ebene zu spekulieren, ist müßig –, sondern weil die von Pola Kinski geschilderte Gewalttätigkeit letztlich mit der Idee vom Schauspieler vernäht sein dürfte, die aus Kinskis Filmen und Schallplatten spricht. Diese Gewalt hat Methode und Geschichte, und darum lohnt es, ein paar Gedanken auf ihre Herkunft zu verwenden.
Es ist, und zwar vor allem anderen, diese Stimme: eine Stimme, die bestimmen will und von der man buchstäblich bestimmt werden soll, so wie man beschallt oder beschmutzt werden kann. Kein Zufall, dass Kinski, der zuerst als Rezitator bekannt wurde, zu seinen Idolen die Stimmstars des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts zählte: die Burgtheaterschauspieler Josef Kainz und Alexander Moissi, deren Singsang um die Jahrhundertwende von einer ganzen Künstlergeneration als hypnotisch und betörend erlebt wurde. Nur wenige waren jedenfalls so hellsichtig bzw. ‑hörig wie Karl Kraus, der über die Kainz-Jünger ätzte: „Eine klangreiche, immer vibrierende Stimme hat sie in Tiefen und mystische...