Verstehen und verstanden werden
von Aysima Ergün
Erschienen in: Zeitgenoss*in Gorki – Zwischenrufe (03/2023)
Als Jugendliche bin ich nicht gern ins Theater gegangen. Eigentlich nur, wenn wir gezwungen wurden, mit der Schule hinzugehen. Dann haben wir größtenteils nur Faxen gemacht, also ich zumindest, bin eingeschlafen, war am Handy. Wenn ich heute auf der Bühne stehe und Jugendliche im Publikum sind, die irgendeinen Quatsch veranstalten, habe ich also noch immer vollstes Verständnis.
Jedenfalls bin ich eines Tages in Verrücktes Blut gelandet. Eine Freundin hatte mich genötigt, mitgeschleppt. Ich hatte überhaupt keine Lust und war zuvor auch noch nie im Maxim Gorki Theater gewesen, weil wir mit der Schule nur ins Berliner Ensemble oder ins Deutsche Theater gegangen sind, ich hatte also keine Ahnung vom Programm oder der künstlerischen Ausrichtung des Hauses. Egal. Unsere Tickets wurden angerissen, wir suchten unsere Plätze oben im Rang, und wenig später sitze ich da – und zum ersten Mal in meinem Leben verstehe ich Theater. Ich verstehe Figuren, ich sehe etwas, das mir bekannt vorkommt. Rückblickend kann ich sagen, dass meine Begeisterung wahrscheinlich nicht daran lag, dass ich endlich mal Theater verstand, sondern dass ich zum ersten Mal das Gefühl hatte, jemand dort oben auf der Bühne versteht mich.
Zum ersten Mal war ich im Theater verdammt aufmerksam, ich wollte...