Was macht das Theater, Philipp Adlung?

Eine Runde Kasperkitsch, so scheint es zunächst: muntere Volksmusik, klassische Jahrmarktsbude mit dunkelroten Vorhängen vor kunstvoll gemaltem Prospekt. „Kasper in Teufels Küche oder Das Geheimnis der schlechten Laune“, ein Stück von Marc Becker, 2016 für Thalias Kompagnons entstanden, erfährt im Theater Altenburg Gera eine Neuinszenierung, in der der glatte Samt der Kasper-Nostalgie überraschend kräftig gegen den Strich gebürstet wird. Der Abend im Szenario, dem Ausweichquartier des sich zur Premiere noch im Umbau befindlichen Puppentheaters, beginnt mit vier nackten Händen, die sich zu zwei Pistolen formend in ein anderthalbstündiges Duell begeben. Genervt von der ewig guten Laune des Kaspers tritt der Teufel auf und schenkt ihm einen Trank ein, der alles auf den Kopf stellt. Der ewige Spaßmacher verweigert nun das gewohnte Spiel; mit ihm geraten Großmutter, Gretel, Seppel und die Prinzessin ins Wanken und suchen, gekonnt überzeichnet, nach neuen Rollen. Regisseurin Kristine Stahl setzt auf handwerkliche Präzision und satirische Brechung, die von Ausstatterin Bärbel Haage gekonnt in den Raum übertragen werden. Dank ihrer fünf Ebenen, vom Unterwelt-Klappenraum, Seitenbalkon bis zum Vogelkäfig-Gefängnis auf dem Dach, entfaltet die Bühne zahlreiche Spielmöglichkeiten. Mit Bierschlitz, Sprechtuch und Gucklöchern verweist die Szenografie historisch zitatenreich auf Jahrmarktsbuden von einst, jedoch mit schräger Eigensinnigkeit. Trotz anfänglicher Längen,...

„Kasper in Teufels Küche oder Das Geheimnis der schlechten Laune“ am Theater Altenburg Gera

Vielschichtigkeit auf vier Händen

Fluid, Trans, Drag

Cripped Curricula

Es geht nur gemeinsam

Das Programm ARTplus

Sofie Neu: Was bedeutet für dich Tradition im Puppentheater? Estelle Charlier: Im Gegensatz zu Folklore, in der man immer dieselben Szenen, Kostüme und Bewegungen wiederfindet, durchläuft Tradition verschiedene Epochen und Gegenden, lässt sich von ihnen inspirieren und passt sich frei an. Während Romuald und ich zwanzig Jahre lang das Stück „Poli Dégaine“ gespielt haben, haben wir selbst immer wieder Figuren, Gags und Szenen geändert, um unseren Pulcinella lebendig zu halten. Wir sind mit ihm aufgewachsen, wir müssen sein Schicksal (und unser eigenes) bei jeder Aufführung neu erfinden, das ist fragil und kostbar. Mit den Produktionen „Le Remède de Pulcinella“ und „Poli Dégaine“ habt ihr Pulcinella intensiv erforscht. Was habt ihr dabei gelernt? Wir wollten unsere Kunst von Grund auf entwickeln, indem wir die vierhundert Jahre alte Figur neu interpretieren. Wir haben uns ohne Proben auf die Straße gewagt und improvisiert. Die Technik der Handpuppe im direkten Kontakt mit dem Publikum und im Rhythmus der Straße zu erarbeiten, war eine ideale Einführung in die Geheimnisse dieser Kunst und wurde zum Grundpfeiler meiner Arbeit. Pulcinella ist eine libertäre Figur, die die Dualität des Menschen, die Spannung, den Kampf oder die Verbindung von Gegensätzen verkörpert. Ihr wart viel auf Tournee. Was löst Pulcinella...

Die Compagnie La Pendue wurde 2003 in Grenoble von Estelle Charlier und Romuald Collinet gegründet, später kam der Schweizer Multi-Instrumentalist Martin Kaspar Orkestar hinzu. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind die Wiederentdeckung des traditionellen Handpuppenspiels und dessen Verbindung mit zeitgenössischen Formen. Mit Estelle Charlier sprach die Dramaturgin Sofie Neu.

Interview mit Estelle Charlier, Compagnie La Pendue (Frankreich)

Mit Vollgas einen jahrhundertealten Helden weitertragen

Über die erste Ausgabe des Basler Figurentheaterfestivals im Jahr 1995 schrieb die Basler Zeitung: „Zur Eröffnung fand sich der Gesamtbundesrat ein, die Schweizer Landesregierung in corpore.“ Verblüfft reibt man sich die Augen. Der Bundesrat bei einem Figurentheaterfestival? Kaum zu glauben. Das waren noch Zeiten! Beim Weiterlesen lässt die Enttäuschung aber nicht lange auf sich warten. Die Regierung war nämlich nicht leibhaftig anwesend, sondern in Form von lebensgrossen Puppen, gebaut vom Figurentheaterspieler und Gründer des Festivals Christian Schuppli. So anders waren die Zeiten in den 1990er Jahren also doch nicht. Die Landesregierung als Puppen auftreten zu lassen, war jedoch ein genialer Coup, um Aufmerksamkeit für das Festival zu generieren. Davon bekommt das Figurentheater in der Schweiz nach wie vor wenig, daran hat sich in den letzten drei Jahrzehnten kaum etwas geändert. Noch immer kämpft die Sparte darum, als eigenständige Theaterform wahr- und ernstgenommen zu werden. Die Sichtbarkeit ist in der Schweiz seither eher zurückgegangen. Presseartikel über das Figurentheater gibt es kaum noch. Den Begriff Figurentheater ausweiten Umso wichtiger ist die Rolle von Festivals wie dem BAFF!, um neues Publikum zu erreichen und den Menschen zu zeigen, dass Figurentheater weit mehr als Marionetten- und Kaspertheater für Kinder ist. Vor zehn Jahren übergaben...

Das internationale Basler Figurentheaterfestival feierte dieses Jahr sein 30-jähriges Jubiläum. Seit seiner Gründung hat es sich immer wieder neu erfunden und dabei die Grenzen der Sparte ausgelotet. Die diesjährige Ausgabe stand unter dem Fokusthema „Herkünfte“.

Seit dreissig Jahren zelebriert das Basler Figurentheaterfestival BAFF! die Vielfalt der Kunstform

Voll Feuer für Figurentheater

„Wenn man in einem Raum voll mit Objekten ist, darf man nicht vergessen, dass man Teil der Welt ist.“ Am Sonntag sitze ich mit den anderen Teilnehmenden der Summerschool Figurentheater zum „Real fake object theatre brunch“ in der Kulturbar froelich &amp; herrlich des Figurentheaterzentrums Westflügel Leipzig. Auch wenn der Satz eine*r der Spieler*innen wohl wörtlicher gemeint war, fängt er die Erfahrungen der Summerschool Figurentheater 2025 treffend ein: Ein langes Betrachten und Erforschen der Objekte im Raum, der Genres und Spielarten, Theorie und Praxis rund um Figurentheater. Gleichzeitig war es eine Woche der vielfältigen Vernetzung und des Erkundens von Verbindungen zu anderen Disziplinen und künstlerischen Traditionen. Mit Hintergründen aus zeitgenössischem Zirkus, Kinder- und Jugendtheaterregie, Szenografie, Kulturvermittlung, Philosophie, Kulturmanagement sowie Kultur-, Medien-, Theater- und Erziehungswissenschaften diskutierten wir zunächst die Texte des von Jessica Hölzl und Mareike Gaubitz zusammengestellten Readers. Laurette Burgholzer, Figurentheaterforscherin und bildende Künstlerin, und Florian Feisel, Professor für Figurentheater, führten uns am zweiten Tag in die Praxis des verkörperten Forschens ein. Am dritten Tag gaben René*e Reith sowie Jan Jedenak und Jonas Klinkenberg Workshops zur Schnittstelle zwischen Praxis und theoretischen Überlegungen. Anschließend begleiteten wir das FIGURE IT OUT! Figurentheaterfestival am Westflügel, tauschten uns in Nachbesprechungen über die gesehenen Stücke aus,...

Als Teilprojekt von KompleXX Figurentheater sollte die einwöchige Summerschool Figurentheater am Westflügel Leipzig einerseits das Feld Figurentheater sichtbar machen und Akteur*innen vernetzen, andererseits stand die gezielte Förderung wissenschaftlicher (Be-)Forschung im Zentrum. Organisiert von Jessica Hölzl (Theaterwissenschaftlerin, Universität Leipzig) und Mareike Gaubitz (Leiterin des Forschungszentrums der Fidena) erhielten achtzehn Teilnehmende Einblicke in Theorie und Praxis, darunter unser*e Autor*in.

Die Summerschool Figurentheater 2025 in Leipzig

Vernetzung, Theorie und schwebende Äpfel

Von Kunqu-Oper bis Drohnenfeuerwerk

Mit der Produktion „Jazz für Räuber oder Gretels großer Auftritt“ (Theater Mummpitz), in der Gretel als die ‚gefährlichste Räuberbanditin aller Zeiten‘ von Kasper und seinen Gefährten um die Welt gejagt wird, eröffnete das Festival wild und ausgelassen für das jüngste Publikum. Was leicht als altbekanntes Kindertheater hätte durchgehen können, entfaltete sich zu einem Spiel mit Geschlechterrollen und zu einem chaotisch-bunten Roadtrip, mitreißend begleitet von vier Live-Musikern, die das Geschehen mit Swing, Jazz und Rock kommentierten. Horrorhäuser, stumme Geschichten und Klanglandschaften Längst ein Klassiker ist „The House“ des Sofie Krog Teater aus Dänemark. Das rotierende Krematoriumshaus, das raucht, spricht und seine intriganten Bewohner*innen verbirgt, ist ein Bühnenwunder. Präzise gebaute Handpuppen mit beweglichen Mündern und ein düster-komischer Soundtrack zeigten, dass Puppenspiel nicht nur im Humor, sondern ebenso im Horror seine Meisterschaft entfaltet. Statt technischer Raffinessen reduzierte „Kleine Geschichten ohne Worte“ (Compagnie l’Alinéa, Frankreich) alles auf das Nötigste: eine Bude, wenige Puppen, ein Live-Musiker. Entstanden ist eine verstörende Studie über Gewalt und Intimität, in der spielerische Rangeleien in Mord kippten, menschliche Hände zu Figuren wurden und Stille ebenso wog wie Klang. Der Schlussmoment, in dem eine Puppe der Spielleiste entkommen will, enthüllte nicht nur die Mechanik des Spiels, sondern auch die fragile Grenze...

Das Festival „Kasper? Kasper!“, das vom 4. bis 8. Juni 2025 am Puppentheater Magdeburg stattfand, offenbarte die erstaunliche Spannweite des zeitgenössischen Handpuppenspiels. Kuratiert von Juliane Solvång als Künstlerischer Leiterin sowie von Sofie Neu als Dramaturgin wurde die Figur des Kasper – und mit ihr Punch, Pulcinella und Guignol – in siebzehn Produktionen und einem umfangreichen Rahmenprogramm erprobt, neu erfunden und bis ins Absurde zerlegt. Dabei zeigte sich, dass die Komische Figur kein museales Relikt ist, sondern eine lebendige Tradition, die fortwährend für neue Kontexte bearbeitet wird.

Das Festival „Kasper? Kasper!“ am Puppentheater Magdeburg

Figurentheater zwischen Tradition und Transformation

Ich sehe was, was du nicht siehst

Die Figur des Kasper ist weit mehr als nur ein Überbleibsel aus der Kinderstube. Sie ist eine lebendige kulturelle Praxis, tief verwurzelt in europäischen Theatertraditionen, die über Jahrhunderte hinweg soziale, politische und ästhetische Entwicklungen gespiegelt haben. Die zahlreichen Ausformungen der lustigen Figuren, ihre Charaktere, Erzählungen und ihr Spiel beruhen auf komischen Prinzipien. Gemeinsam haben sie unter anderem Elemente einer karnevalesken Lachkultur (vgl. Taube 1994, 39–58), in der die Lösung aller Probleme Gewalt ist. So prügeln sich Kasper und seine Verwandten aus misslichen Situationen heraus und bleiben selbst unsterblich. Die Szenen der Gewalt sind aus heutiger Sicht moralisch fragwürdig, doch entscheidend für den Aufbau komischer Choreografien: Es entstehen lustige Verfolgungsjagden, Verwechslungsmomente mit Wortwitz und ein aktives Wechselspiel der Gefühle für Figuren und Publikum. Ein weiteres Merkmal karnevalesker Lachkultur ist das Aussetzen sozialer Ordnungen im Spiel der lustigen Figur: Kasper und seine Verwandten lehnen sich gegen jede Obrigkeit auf, selbst Tod und Teufel haben keine Chance gegen den Witz, die Schlagkraft und die subversive Kraft des „kleinen Mannes“, den der Kasper verkörpert. Auf Grundlage dieser – hier nur skizzenhaft umrissenen – Prinzipien wurde 2021 das Kaspertheater als Spielprinzip in das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Der Initiative von Ralf Uschner, Leiter...

Über Jahrhunderte hinweg taucht die lustige Figur in immer neuen Gestalten auf: Als Pulcinella oder Punch, Guignol oder Kasper reist sie durch Sprachen und Zeiten, bleibt populär, wandlungsfähig und widerspenstig. Mareike Gaubitz, Leiterin des Dokumentations- und Forschungszentrums der Fidena, hat es sich zur Aufgabe gemacht, dieses lebendige Erbe sichtbar zu machen. Ihre Initiative – eine europäische Nominierung bei der UNESCO – möchte das Spielprinzip Kasper als gemeinsames kulturelles Erbe neu denken.

Perspektiven einer multinationalen Nominierung der lustigen Figur im europäischen Handpuppenspiel als Immaterielles Kulturerbe

Kaspers Weg zur UNESCO

Wir wollen alle sehen! Wege in die Darstellende Kunst für Menschen mit Behinderung

Den Stein zeigen

Heilbronn: Leon Engler gewinnt mit „Wo die Götter kauern wie Hunde“ den internationalen Dramenwettbewerb „Science & Theatre“ 2025

Theater Oberhausen: No King today

Studieren mit Behinderung – (k)ein Privileg

Er liebt den großen Auftritt und den Applaus. Schlagfertig und witzig, charmant und eloquent, beherrscht er die Kunst, virtuos mit Pointen und Timing zu spielen. In Sekundenschnelle nimmt er ein Publikum für sich ein und bringt es zum Johlen. Doch er hat auch ein anderes Gesicht. Er bricht Regeln, beschimpft seine Gegner, prügelt sich durch Konflikte. Ein Egomane, der nur zu gern die Massen aufwiegelt und sich selbst immer wieder über das Gesetz stellt. Misogyn, gewaltbereit, mit Vorliebe für Waffen und Provokation. Getrieben von grotesker Selbstüberschätzung überschreitet er jede Grenze und wird für sein „That’s the way to do it!“ gefeiert. Seit Jahrhunderten wandert diese Figur unter verschiedenen Namen durch Europa: als Kasper oder Punch, als Jan Klaassen, Guignol oder Pulcinella. Ihre Auftritte leben von Übertreibung, Gewalt und der Lust am Tabubruch. Aber kann diese Figur mit all ihren Brüchen und ihrer Geschichte überhaupt im Heute bestehen, ohne ihre anarchische Energie zu verlieren? Dieser Frage möchten wir in diesem Heft nachgehen und uns der Lustigen Figur des Puppenspiels nähern. Einige Artikel sind gekürzte Vorträge zum Symposium „Kasper? Kasper! Eine kritische Befragung“, das als Teil des gleichnamigen Festivals im Juni am Puppentheater Magdeburg stattfand. Daria Ivanova-Hololobova eröffnet unseren Thementeil mit einem...

Kasper und Co in schwierigen Zeiten

Superheld, Spaßmacher, Systemsprenger

Start des Vorprogramms

Warum sollen Israelis nicht über Fußball sprechen?

Versuche einer thematischen Ordnung

Eine Reibung mit der Gegenwart

Unregelmäßigkeiten im Brandschutzsystem

Kasper – von der Figur zum Spielprinzip Aus dem Black ertönen drei Schläge. Ein Spieler tritt auf, Musik spielt, während er die imaginären Saiten einer großen Bratpfanne erklingen lässt. Er trägt eine braune Cordhose mit Hemd, dazu Hosenträger. In der linken Brusttasche steckt eine rote Socke, seinen Kopf bedeckt eine Papierkappe. Er blickt würdevoll ins Publikum. Nach einigen Takten beginnt er, die eingängige Melodie mit skurrilen Tanzbewegungen zu begleiten. Das Publikum lacht. [Gyula Molnár/Kaufmann &amp; Co.: Kasperls Wurzeln 2009] Als vielleicht prominenteste Erscheinung in Puppenspiel und Figurentheater blickt Kasper auf eine bewegte Geschichte zurück. Seine künstlerische Wiederentdeckung durch junge Puppen- und Figurenspieler*innen in den 1980er Jahren gab auch der Figuren- und Puppenspielforschung neuen Aufschwung. Bereits 1992 plädierte Gerd Taube im Rahmen eines Fachsymposiums der UNIMA am Münchner Stadtmuseum für eine Kasperforschung, die „nach dem Vorhandensein eines unter der Oberfläche der Kasper-Erscheinungen liegenden Prinzips“ (Taube 1994, 43) sucht. Dabei grenzt er sich vom Konzept der Komischen Figur ab, das beispielsweise für Hanswurst und Pickelhäring Anwendung fand und die Ambivalenz der Figur häufig unterschlägt.1 Stattdessen sieht Taube die spezifische Funktionsweise des Kasper in tieferen Schichten begründet und bezieht sich daher auf die Harlekin-Forschungen des Theaterwissenschaftlers Rudolf Münz. In seiner theaterhistorischen Analyse beschreibt...

Jessica Hölzl begibt sich anhand unterschiedlicher theoretischer und praktisch forschender Zugänge auf die Suche nach dem utopischen Potenzial einer unsterblichen Figur.

Auf der Suche nach Kasperls Wurzeln und dem utopischen Potenzial

Kasper als Erzählprinzip

„Gesellschaft besteht aus Menschen und Menschen können Dinge ändern“

We Still Need a Superhero Folk Puppets and Comic Book Figures (p. 6–9) In this essay, Daria Ivanova-Hololobova explores parallels between European puppet heroes such as Kasper and Punch and the superheroes of Marvel and DC. Despite their flaws as tricksters, drunkards or even killers, these figures share with modern superheroes one defining trait: invincibility. Tracing mythological roots from antiquity to the present, Ivanova-Hololobova shows how puppet characters embody survival strategies to oppose death and the devil. In today’s Ukraine this tradition continues as the Kosak is reimagined as a puppet superhero and protector. Kasper, go Home! Tracing a Figure between Ruins and Safe Houses (p. 10–11) Christine Zeides reflects on the Masterclass Kasper 3.0 at the festival Kasper? Kasper! in Magdeburg, where twelve puppetry students from Germany, Poland and Ukraine reimagined the comic puppet. Their lecture performance placed Kasper alongside the Ukrainian Kosak, confronting themes of violence, death and survival, and resulting in a search for a resistance figure who survives not by means of force but through solidarity, humour and fragile hands joined across different borders. Kasper as a Narrative Principle In Search of Kasper’s Roots and Utopian Potential (p. 12–15) In her theatre studies–based reflections, Jessica Hölzl...

Summaries of double 52

Schauspiel Leipzig: Der Zollstock im Raum 

Not Just Any’s Body And Mind

Was macht das Theater, Daniel Schüßler?

Über Zeitenwenden hinaus

Wer liest noch Dramen? oder: Plädoyer für die Pause

Tanz ist einfach überall

Seine Arbeit war autobiografisch

Kultur- und Musikmanagement mit Hürden

Challenge(d) Bodies

Abseits der schmalen Altstadthäuser, die das touristische Bild von Amsterdam prägen, liegt das Plein Theater – genau dort, wo die historische Innenstadt ausläuft und das Oost-Viertel beginnt. Keine pittoresken Fassaden mehr, dafür nüchterne Wohnblocks. Das 1983 in der ehemaligen Kantine der Amstel-Brauerei gegründete Theater versteht sich als offenes Haus, das eng mit seiner Nachbarschaft verbunden ist. Hier gibt es Raum für Zusammenarbeit zwischen professionellen Künstler*innen und Anwohner*innen sowie interkulturelle und interdisziplinäre Kunst. Ein gutes Beispiel dafür ist seit 2022 auch das Queering Puppets Festival Amsterdam. Zur Eröffnung spricht Berith Danse, Leiterin des Theaters, über die schwierige Lage der Kulturförderung und zunehmende Angriffe auf die Queer Community in den Niederlanden – Verhältnisse, wie sie auch in Deutschland immer deutlicher zutage treten. Weil das Private auch politisch ist, berichtet sie von ihrem eigenen Outing mit 15 Jahren und kombiniert diese biografische Offenbarung mit einer somatischen: Während sie spricht, entledigt sie sich ihrer Kleidung. Ein überraschender Akt, der in Anwesenheit kulturpolitischer Vertreter*innen stattfindet. Damit performt sie, was das begleitende Festival-Zine auf sprachlicher Ebene zum Begriff Queering artikuliert: nämlich Queering als Praxis zu verstehen, die Normen entblößt und infrage stellt. Von Stellvertretern und Grenzgängern Auch das Eröffnungsstück des Festivals setzt diese Praxis fort, indem...

Die vierte Ausgabe des Queering Puppets Festival Amsterdam stand unter dem Motto „Creating Bodies“. Im Plein Theater präsentierten die Festivalleiterinnen Cat Smits und Berith Danse vom 25. bis 30. März 2025 ein Programm, in dem Körper auf vielfältige Weise gelesen, hinterfragt, begehrt oder verworfen wurden.

Queering Puppets Festival Amsterdam zeigt politisches Programm

Konstruierte Körper

Im Ozean aus Klang und Licht

Wille zum Glauben

<blockquote> The purpose of myth is to provide a logical model capable of overcoming a contradiction. Claude Lévi-Strauss </blockquote> Die Fäden der Marionette sind noch verheddert. Am Vorabend meines Besuches war große Lübecker Theaternacht; manche der spielbaren Figuren sind noch ein wenig mitgenommen. „Die werden morgen entwirrt“, sagt eine freundliche Angestellte. Es riecht noch nach Neubau. Die Ausstellung beginnt im Erdgeschoss mit einem historischen Bühnenbild der traditionsreichen Puppenspielerfamilie Winter. Die verschiedenen Schichten der Bühne sind erkennbar; die Szenenwechsel lassen sich nicht nur erahnen, sondern werden auf einem Bildschirm mit Videoaufnahmen der Originalaufführungen begleitet. Es wird deutlich: Dieses Museum will nicht nur ein Archiv sein, sondern auch Aufführungspraxis erfahrbar machen – und reflektiert zugleich die Kontexte, aus denen die Sammlung hervorgegangen ist. Ver-Sammlung Entlang einer Einführung zu offenen Aufführungsformaten und bespielbaren Elementen entdecke ich weiter hinten, in einem Korridor, eine dicht behängte Wand. Postkarten, Figuren, Requisiten sind daran befestigt; der Bildschirm davor bietet Einblicke in einen Objektkatalog. Unter dem Titel „VerSammlung“ greift das Haus hier eine Idee des Vorgängermuseums auf: eine wechselnde Auswahl aus dem etwa 20.000 Objekte umfassenden Bestand, den Fritz Fey jun. mit seiner Frau Saraswathi ab den 1970er Jahren auf Reisen und Flohmärkten, in Europa, China und Afrika zusammengetragen hat....

Nach mehr als sieben Jahren Generalsanierung und Neukonzeption eröffnete im Juni 2025 das neue Figurentheater &amp; Museum KOLK 17 in Lübeck. Eigentümerin des Kolk-Ensembles und alleinige Gesellschafterin der gemeinnützigen GmbH KOLK 17 Figurentheater &amp; Museum ist die Lübecker Possehl-Stiftung. Im Zuge der Neustrukturierung tauschten Museum und Theater ihre Gebäude und wurden unter dem Namen KOLK 17 baulich wie organisatorisch zusammengeführt. Die mittelalterlichen Kaufmannshäuser wurden restauriert; in Kolk 14–18 nahm das Theater im März 2025 seinen Spielbetrieb wieder auf, während in Kolk 20/22 ein moderner Museumsbau entstand, der im Juni seine Türen öffnete.

Ein Besuch im neu eröffneten Figurentheatermuseum KOLK 17 in Lübeck

Das eigentliche Spektakel

Respekt und Vertrauen

„Richtiges“ Theater findet auf Hochdeutsch statt. Standarddeutsch. Schriftdeutsch. Wer privat Dialekt spricht, gilt schnell als provinziell. Wer es auf der Bühne tut, „theäterlet“, spielt bestenfalls im Volkstheater oder der Laienspielgruppe des örtlichen Jodelclubs, so eine gängige Überzeugung. Warum also Schweizerdeutsch auf der Bühne sprechen? Mirjam Ellenbroek wächst in Basel auf, beginnt ihre Theaterlaufbahn an der Scuola Teatro Dimitri im Tessin, studiert Bewegungstheater in Barcelona und entdeckt dort über die Maske ihre Faszination für das Theater der Dinge. Der Ausdruck über das Material statt über den eigenen Körper, die Freiheit in der Form und dass dieses Metier nicht zwangsläufig die Literatur auf der Bühne erzwingt, bringen Ellenbroek zum Studiengang Figurentheater in Stuttgart. Nach einem Austausch in Strasbourg und einer Inszenierung in Genf stösst sie für „Ponce Pilate, l`histoire qui bifurque“ von Roger Caillois zur Cie. Lanicolacheur. Die inzwischen vierte Sprache, in der sie arbeitet, ist Französisch, das Stück ein monumentaler Text, eigentlich keiner, bei dem man zwangsläufig an Puppen denkt, aber „Ponce Pilate“ in der Regie von Xavier Marchand bekommt gute Kritiken und Ellenbroek bleibt fürs Erste in Frankreich. 2019 schliesst sie sich einer Strassentheatertour an, die zur europäischen Kulturhauptstadt Plowdiw in Bulgarien führt. Hier lernt sie den Musiker Juan Manuel...

Unter dem Titel „Viecher“ entstand in diesem Jahr das erste vom Emmentaler Theater-Werk koproduzierte Projekt an der Schnittstelle von Figurentheater und Schauspiel. Im Fokus standen dabei die schweizerdeutschen Dialekte, die das Material für die Stückentwicklung der Spielerinnen Miriam Jenni und Mirjam Ellenbroek bilden. Welche Bedeutung der Dialekt als Beschaffenheit von Sprache auf der Bühne hat, erkundete Moritz Schönbrodt im Gespräch mit Mirjam Ellenbroek.

Die Produktion „Viecher“ macht Dialekte zum Spielmaterial

Sprache begreifen

De Anima Wie kommt es dazu, dass wir heute Animation in erster Linie als ‚Beseelung‘ und ‚Verlebendigung‘ verstehen? Diese Frage führt uns erst einmal zu Aristoteles. Animation, also Verlebendigung der Puppe, gilt im theatralen Akt als zentrales Darstellungsgeheimnis des Puppentheaters. So gesehen lässt sich ein enger Zusammenhang mit der aristotelischen Seelenlehre (De Anima) herstellen. Aristoteles fragt nach der Seele im Sinne der Beseelung eines Lebewesens. Nur im Belebten ist die Seele zu erfahren, zu beobachten. Die Seele erscheint hier als Erfüllung eines lebendigen Körpers, worunter Aristoteles gleichermaßen Pflanzen, Tiere und Menschen fasst. Hier trifft er eine Unterscheidung in körperliche Materie, die ein Potenzial zur Lebendigkeit bereitstellt, und in eine ausgestaltete, durch die Seele erfüllte Form, welche die wesentliche Realisierung von Leben darstellt. Die Seele ist also eine Art Kraft, Energie, die eine Materialität ausfüllt. Es geht um ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen potenzieller Materie (Materie der Möglichkeit), beseelender Kraft und dem schließlich als beseelt Wahrgenommenen. Ohne Materie findet die Seele keine Erfüllung, ohne Seele bleibt die potenzielle Materie eine abbildende Materie, die nicht belebt ist, sondern nur die äußere Gestalt von etwas, einem Menschen, einer Pflanze, einem Tier darstellt. Übertragen auf Puppentheater könnte die materielle Gestalt der Theaterpuppe etwa als Abbild der...

Ausgehend vom Thema Kasper und der Handpuppe entstand aus einer Irritation über das komplexe Phänomen der Animation diese Reflexion. Florian Feisel und Meike Wagner verbinden Zweifel an dem Begriff – aus unterschiedlichen Gründen. Florian Feisel verstand sich vor seiner „Professur für Animation“ an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart als Spezialist im Erschaffen von Welten im Figurentheater und weniger als ausgesprochener Experte für Animation. Meike Wagner als „Professorin für Theaterwissenschaft“ wunderte sich, dass der Begriff der Animation den besonderen Eindruck, den viele Figurentheater-Inszenierungen bei ihr hinterlassen haben, nur unzureichend beschreiben konnte. Ihre Konsequenz lautete, den Fokus ganz auf experimentelle Figurenperformances zu legen, um nicht von der Animation der dramatischen Puppenfigur sprechen zu müssen. Ausgehend von diesen Irritationen entstand bei den Autor*innen das Bedürfnis, sich intensiver über einen möglichen Begriff der Animation auszutauschen. Inspiriert von ‚weird animism‘ (Jeremy Damian) bis zu ‚worlding‘ suchen Wagner und Feisel den vielschichtigen Prozess weiter auszubuchstabieren.

Die Puppe als Knotenpunkt im theatralen Weltschaffen

Worlding?

Inszenierte Körper

Theater Ulm: Mit doppeltem Boden?

Das Kerngeschäft im Theater sind Feelings

ETA Hoffmann Theater Bamberg: Liftboys und Logbücher

Teufelsgeige

Filmstills

„Wir lassen uns nicht vereinzeln!“

Inklusion versteht sich nicht von selbst

Reflexion fördern

Rückwärts durch die Zeit der Gegenwart

Landestheater Tübingen: Heimat in der ganzen Welt wiederfinden

Solidarität und Glitzer

Nationaltheater Mannheim: Wettstreit der Wahrheiten

Wir sind Punks

Trans*respekt versus anti-trans Gewalt

Die Pflanze, die ich also bin

Living Beneath

Festivals Das Festival Theater der Dinge findet unter der Überschrift „Autonome Objekte“ vom 31. Oktober bis 5. November 2025 an unterschiedlichen Spielstätten wie der Schaubude Berlin, dem Theater Strahl Ostkreuz, der HfS Ernst Busch und dem TATWERK statt. In seiner Ausgabe 2025 bündelt das Festival überraschende Perspektiven und bereichert mit künstlerischen Positionen die Diskussion um gesellschaftliche Auswirkungen von KI und autonomen Objekten. Das Publikum ist eingeladen, sich mit humanoiden Robotern oder KI-Freund*innen auszutauschen, hybride Lebenswelten zu erforschen, sich von DIY-technologiebasierten Choreografien und dem künstlerischen Potenzial von Bots &amp; Co. faszinieren zu lassen. – <a href="https://www.schaubude.berlin" target="_blank">www.schaubude.berlin</a> Maschinenräume, Brotpagoden, Himmels- und Spiegelareale: Vom 4. bis 8. November 2025 präsentieren über 70 internationale Künstler*innen auf dem Potsdamer Theaterfestival UNIDRAM visuelles Theater, Tanz, Performances, Figurenspiel und Zirkustheater. Eröffnet wird das Festival von der Theatergruppe Reckless Sleepers aus Belgien/Großbritannien, die einen leeren Raum mit hypnotischer Sogkraft zu einem klaustrophobischen Ort voll surrealer Begegnungen und irrwitziger Verwicklungen werden lassen. Ein weiterer Höhepunkt ist die Deutschland-Premiere der Tanzperformance Sahara der italienischen Claudia Castellucci/Mòra Company. – <a href="https://www.unidram.de" target="_blank">www.unidram.de</a> In diesem Jahr richtet das Theater am Torbogen vom 8. bis zum 19. November 2025 das KoFi Festival aus. Diese Kooperative der FigurentheaterHäuser in Baden-Württemberg (KoFi) ist ein Zusammenschluss der vom Land...

Notizen

Körperpolitik ohne Ende

Garage und Galaxie

Vorwort

Die lustigen Figuren des Puppentheaters, die wir (nicht ohne Grund) Narren, Trunkenbolde oder gar Mörder nennen, als Superhelden zu betrachten, wirkt auf den ersten Blick widersprüchlich. Doch trotz all ihrer Schwächen und „Sünden“ besitzen sie eine übernatürliche Kraft: Unbesiegbarkeit. Gerade in Zeiten historischer Turbulenzen ist genau diese Fähigkeit entscheidend, wenn es darum geht, das Bild eines modernen Puppen-Superhelden als Beschützer zu zeichnen. Helden oder Sünder? Sprechen wir über das Superheldentum traditioneller Figuren im Puppentheater, geraten wir sofort in einen Widerspruch. Kann man Figuren wirklich „Helden“ nennen, die offenkundig Trinker, Schläger und Mörder sind – geschweige denn „Superhelden“? Beatrix Müller-Kampel und Marion Linhardt beschreiben die europäischen Puppenhelden sehr treffend: „Ein Bastard, ein Vielfraß und Trinker, ein Griesgram und Raufbold, ein Frauenjäger und Fantast, ungebildet und analphabetisch, ein Feigling und Streithansl, und ein Narr, der immer nur nach Geld und jungen schönen Mädchen sucht“ (Müller-Kampel / Linhart 2019, 394). Können wir sie also wirklich als Helden bezeichnen? Figuren, deren Bedürfnispyramide sich auf einen Bissen Essen, eine Flasche und die Gesellschaft einer schönen Frau beschränkt, die hinterlistig lügen, betrügen, andere verraten und ihren Nachbarn, ihre Frau oder ihr Kind töten? Dieser Artikel basiert auf einem Vortrag, den ich im Rahmen des internationalen Festivals...

Was haben Kasper, Punch oder der ukrainische Kosak mit Batman oder dem Hulk zu tun? Auf den ersten Blick nicht viel. Doch wer genauer hinsieht, entdeckt verblüffende Parallelen: Volksfiguren des Puppentheaters waren immer schon unverwundbar, trotzen Tod und Teufel und erinnern damit an die Superhelden der Gegenwart.

Traditionelle Volkshelden des europäischen Puppenspiels im Spiegel der Protagonist*innen der Marvel- und DC-Universen

Wir brauchen noch immer einen Superhelden

Münchner Kammerspiele: Lokalgeschichte meets historische Schuld

Staatstheater Stuttgart: Einsame Menschen in den Datennetzen

Vertonen

Die Aufgabe: Neue Perspektiven zu suchen für eine Figur, die mit all ihrer Tradition in der Gegenwart Fragen aufwirft, und ein junges, internationales und weibliches Gesicht zu finden für den Kasper. In vielfältigen Puppenausführungen liegt er auf der Probebühne verstreut, sein Blick ist eine Herausforderung: „Wer bin ich? Wer könnte ich sein? Wer seid ihr überhaupt?“ Er stellt die richtigen Fragen. Zunächst reden wir über uns und darüber, was es heißt, in Deutschland, Polen oder der Ukraine Puppenspiel zu studieren. Fachsimpeln über die beste Fingerstellung im Handpuppenspiel. Ein oder zwei Finger im Kopf? Kasper lacht sich ins Fäustchen: Er liebt es, Pläne zu durchkreuzen. Kasper und Kosak „Bringt einen selbst gebauten Kasper mit!“ So wird die Spielleiste zum Kasper-Laufsteg: Ein Berliner springt mit typischen Insignien über die Bühne: rote Mütze, triumphierendes Grinsen. Lautstarker Widerspruch aus Stuttgart: Eine Trompete marschiert und ruft zur Revolte. Die Kasper aus Polen sind fantasievolle Erscheinungen mit pinkfarbenen Haaren und blauer Haut. Wir erfahren, dass es keinen Kasper in Polen gibt (oder er Guignol heißt und als Besuch aus Frankreich kommt). Ein Lied kündigt den Auftritt des ukrainischen Kosak an. Er ist kein Kasper im eigentlichen Sinne, sondern eine Stockpuppe mit Nationalepos: „Kosak celebrates Christmas and...

Zwölf Studentinnen verschiedener Figurentheaterstudiengänge aus Deutschland, Polen und der Ukraine trafen im Juni 2025 beim internationalen Festival „Kasper? Kasper!“ in Magdeburg aufeinander. In der Masterclass „Kasper 3.0“, geleitet von Regisseur Leonhard Schubert und der Dramaturgin Miriam Locker, erarbeiteten sie in vier intensiven Tagen eine Lecture-Performance. Eine der Teilnehmerinnen blickt zurück auf den gemeinsamen Prozess.

Eine Spurensuche zwischen Häuserruinen und Safe Houses

Kasper, Go Home!

„Ich lausche meinem Körper die choreografische Form ab“

Schon wieder (oder immer noch) Krise … Die Zeiten bzw. die Zahlen sind dramatisch: Der Erlanger Stadtkasse fehlt aktuell Geld. Viel Geld. Das ‚Warum‘ dieser Situation, die zur schwersten kommunalen Finanzkrise seit dem Zweiten Weltkrieg geführt und die eigentlich wohlhabende Universitätsstadt unter Haushaltsaufsicht gestellt hat, ist an dieser Stelle müßig zu diskutieren. Fraglos bleibt, dass sich diese Gemengelage konkret in die Erscheinung des 24. internationalen figuren.theater.festival in Erlangen eingeschrieben hat. Zu den Maßnahmen der Konsolidierung, die perspektivisch 2028 (also frühestens zum übernächsten Festival) den Haushalt einigermaßen stabilisiert haben sollen, gehören Mehreinnahmen durch Gebührenerhöhungen (es wurde beim Festival erstmalig das Support-Pay-Prinzip als Solidaritätszuschlag der Besserverdienenden eingeführt) und ein strenges Sparprogramm. Klar. Solidarität und Kooperation Immerhin war zu keinem Zeitpunkt von einer Abschaffung des Festivals die Rede: Im Gegensatz zur Krise von 2011, als in kulturpolitischer Ambitions- und Fantasielosigkeit das Festival per Handstreich einer konservativen Stadtratsmehrheit kurz vor dem Aus stand, ist sich die aktuelle Stadtspitze des Wertes des Festivals und dessen internationaler Strahlkraft bewusst. Um perspektivisch die gewachsenen Kommunikations- und Kooperationsarchitekturen des Festivals zu erhalten, wurden dieses Mal signifikant weniger Produktionen nach Erlangen eingeladen, langjährige Stammgäste in die beteiligten Städte Nürnberg, Fürth und Schwabach umgeleitet (hier zeigen sich die Vorteile eines...

Die 24. Ausgabe des internationalen figuren.theater.festivals stand unter dem Zeichen der Haushaltskonsolidierungen, die gerade viele Kommunen und damit die deutsche Kulturlandschaft empfindlich treffen. André Studt berichtet über ein trotz alledem hoffnungsvoll stimmendes Festival.

Stichpunkte zum 24. internationalen figuren.theater.festival Erlangen, Nürnberg, Fürth, Schwabach

Über das Solo zur Solidarität

Vor nunmehr 46 Jahren wurde das internationale figuren.theater.festival, wie es heute heißt, in Erlangen gegründet. In den 1980er Jahren schlossen sich nacheinander die Städte Nürnberg, Fürth und Schwabach an. Alle zwei Jahre wird dieses Städtequartett zum Ort der Begegnung des Genres im Festivalformat. Der Sammelband „Offen!“ erkundet dieses renommierte Festival des Puppen- und Objekttheaters und benachbarter performativer Kunstformen. Seine Herausgeber*innen – Kuratorin und Autorin Anke Meyer und Theaterwissenschaftler André Studt – sind dem Festival seit vielen Jahren eng verbunden, besonders durch das festivalbegleitende Seminar „Tiefenbohrungen“, das Student*innen des Figurentheaters der HMDK Stuttgart und der Erlanger Theaterwissenschaft über ausgewählte Aufführungen des Festivals mit dem Publikum in Austausch bringt. In sechs Kapiteln – „Auftakt“, „Programmieren. Kuratieren. Organisieren“, „Grenzen ausloten“, „Fördern und kritisch begleiten“, „Das Festival als Akademie“ und „Räume“ – wollen Meyer und Studt die vielgestaltigen Besonderheiten des Festivals und seiner Geschichte erzählen und sichtbar machen. Dafür lassen sie in Beiträgen eine breit aufgestellte Autor*innenschaft aus Künstler*innen, der Festivalleitung von damals und heute, Kritiker*innen und Theaterwissenschaftler*innen zu Wort kommen. Auch Archivalien sprechen zu uns, wenn Anke Meyer mit historisch-kritischem Blick Programmbroschüren aus 45 Jahren Festival durchblättert. Gespräche der Teams der Festivalleitung der einzelnen Standorte gestatten uns einen Einblick in Entstehung, Netzwerk, Struktur...

Offen! Das internationale figuren.theater.festival

Eine echte Langzeitbeziehung

Archipel der Kunst

Körper und Körperlichkeit

Unsere Körper sind Text

Die Rückkehr der großen Geschichten

Ride & Resistance

Die Hüfte ist das Zentrum

Der kluge Mann baut vor

Grosser Auftritt für kleine Objekte Gibt es eigentlich ein Objekt, das nicht animiert werden könnte? Streichhölzer und Reiskörner sind mittlerweile schon Klassiker. Dem Arsenal der Dinge, die man nach dem Bespielen auch verspeisen kann, fügte Paula Engel, aktuell im 3. Studienjahr an der HfS Ernst Busch, Salzstangen hinzu. Sie verwandelte sich in dem Kurzstück „Versalzen“ in eine Kellnerin, die mit Salzgebäck eine Flugreise nachspielt. Die Passagiere sind die Salzstangen, fein aufgereiht wie Soldaten, die den Parcours von Check-in und Boarding ablaufen. Ebenso gibt es die üblichen Choreografien der Sicherheitsdemonstrationen. Dann aber stürzt die Maschine ab. Die Salzstangen verteilen sich wild auf dem Tisch, einige zerbrechen, ein so komischer wie auch anrührender Todesmoment. Denn trotz aller skeptischen Distanz funktioniert die Belebung der Knabberstücke. Nur wenige Salzstangen überstehen die Katastrophe. Eine schafft es dann auf eine Insel. Engel spielt in einer Art Zeitraffer Motive aus „Robinson Crusoe“ durch. Und eines ist gewiss: Noch Tage nach der Vorstellung beißt man nicht mehr so unbekümmert und gedankenlos wie früher in das längliche Salzgebäck. Insgesamt acht Kurzstücke wurden beim Festival vorgestellt. Es handelte sich um Szenenstudien, die im Laufe des 1. Studienjahres entwickelt werden. Die verwendeten Materialien waren vielfältig, reichten von Nahrungsmitteln über Kleinstfiguren und...

Das neue Festival „PULS &amp; PEILUNG“ vom 1. bis 4. Mai an der Schaubude stellte auf charmante Art die ganze Bandbreite des Studiengangs Puppenspiel an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch vor. Verschiedenste Formate wurden ausprobiert, von fünf- bis zehnminütigen Kurzstücken über Monologe, die als Bewerbungs-Showcase gedacht sind, bis hin zu abendfüllenden Produktionen.

Das neue studentische Festival „Puls & Peilung“ an der Schaubude Berlin

Salzgebäck und Puppenstars

Nicht nur Gestell für Stimmbänder und Handgesten

Von Sprachverbotsversuchen, Sprechermöglichungen und Körperwirklichkeiten

Seit über 360 Jahren prägen sie das Puppenspiel Englands: heiter und brutal, vertraut und paradox. Bis heute sind Punch und Judy lebendige Praxis und kulturelles Symbol mit einer Wirkung weit über den Jahrmarkt hinaus. Mit dem italienischen Marionettenspieler Pietro Gimonde, dessen Auftritt am 9. Mai 1662 in Samuel Pepys’ Tagebuch verzeichnet ist, kam Punch nach England. Von Anfang an stand die Figur, später auch die gesamte Tradition, für eine hybride Theaterform: ein Zusammenspiel von Einflüssen, Stilen und politischen Dimensionen, das sich im Lauf der Zeit stetig weiterentwickelte. Ursprung und Leerstelle Sowohl hinter der Spielleiste als auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung konzentriert sich die gängige historische Erzählung fast ausschließlich auf Männer. Mister Punch ist der Star, der Trickster, der Rebell. Seine Eskapaden wurden als Metaphern für Arbeiterwiderstand, Antiautoritarismus und grotesken Humor gelesen. Aber was ist mit Judy? Mit den Spielerinnen, Produzentinnen, Autorinnen und Neuerfinderinnen, die diese Tradition ebenfalls geprägt haben? Ihre Geschichten fehlen weitgehend. Dieser Aufsatz und das größere Forschungsprojekt, aus dem er hervorgeht, „The Judy Project“1 haben das Ziel, diese Leerstellen zu schließen und eine feministische Umschreibung der Punch-und-Judy-Tradition zu entwerfen. Die Analyse beginnt mit Charlotte Charke im 18. Jahrhundert und führt über viktorianische, durch Suffragetten geprägte und nachkriegszeitliche...

Punch und Judy zählen zu den bekanntesten und zugleich widersprüchlichsten Figuren des englischen Puppenspiels. Die Theaterwissenschaftlerin Alissa Mello untersucht die bislang übersehene Rolle von Frauen, die diese Tradition geprägt haben – von Charlotte Charke im 18. Jahrhundert bis zu zeitgenössischen Künstlerinnen.

Superheld, Spaßmacher, Systemsprenger

Assoziationen

Offen! Das internationale figuren.theater.festival

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