Theater der Zeit

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Zwischen den Disziplinen

Die Bühnenbildnerin Heike Schuppelius im Gespräch mit Ute Müller-Tischler

von Ute Müller-Tischler und Heike Schuppelius

Erschienen in: Theater der Zeit: Der Untergang des russischen Theaters (10/2022)

Assoziationen: Kostüm und Bühne

„ΕΧΟΟΔΟΣ“ von Sasha Waltz in der Jahrhunderthalle Bochum 2018. Foto Carolin Saage
„ΕΧΟΟΔΟΣ“ von Sasha Waltz in der Jahrhunderthalle Bochum 2018.Foto: Carolin Saage

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Frau Schuppelius, Sie unterrichten an der Kunsthochschule in Offenbach Bühnenbild/Szenischer Raum und arbeiten an den Münchner Kammerspielen zuletzt mit Falk Richter und am Gorki-Theater mit Yael Ronen, lange auch mit Sasha Waltz zusammen, aber ebenso frei mit Medienkünstlern wie Omer Fast und Chris Kondek. Was liegt Ihnen am meisten am Herzen?

Ich bin immer wieder aufs Neue dabei herauszufinden, was das für mich bedeutet. Meine Nähe zur Bildenden Kunst ist offensichtlich, und ich liebe das Arbeiten im Team, so wie im Theater. Zwei Dinge, die sich nicht unbedingt ausschließen, wie man auch auf der diesjährigen documenta in Kassel beobachten kann.

Beim Unterrichten an einer Kunsthochschule ist es für mich zunächst am interessantesten, mit den Studierenden experimentell zu arbeiten, um erst mal beobachten zu lernen, kritisch zu reflektieren und künstlerische Prozesse kennenzulernen. Der Schritt zum Bühnenbild ist dann eigentlich nur noch ein kleiner.

Ich finde diese künstlerischen, experimentellen Arbeiten sehr wichtig, um berufliches Selbstbewusstsein zu entwickeln. Man muss wissen, wie weit man seine Ideen vertreten kann und wie kompromissbereit man für bestimmte Dinge sein muss. Das möchte ich den Studierenden unbedingt vermitteln.

Ihr Bühnenbildbegriff ist weitaus offener als landläufige Vorstellungen davon. Unsere Ideen vom Theater- oder Kunstraum haben sich fundamental verändert, was sind Ihre Erfahrungen?

Den Begriff der Szenografie oder szenischer Raum halte ich für treffender, ganz einfach, weil er sich noch mehr erweitern lässt. Szenografen agieren genauso außerhalb des Theaters, im Stadtraum, in Museen, Galerien oder auch im Film. Mich interes­sieren insbesondere die Grenzbereiche, das zwischen den Diszi­plinen.

Mit Stipendien und Reisen, die mich oft ins Ausland führten, habe ich mich auf neue Kontexte eingelassen. Das inspiriert mich. Ich bin überzeugt davon, dass man keine Produktion nach der anderen abliefern kann, ohne dass das zur kreativen Erschöpfung führt. Der Blickwechsel in meinen Arbeitsfeldern wirkt auf mich belebend. Die Arbeit ohne Werkgrundlage wie im Tanz zum Beispiel oder die Stückentwicklungen mit Yael Ronen am Gorki-Theater, liegt mir total. Wir arbeiten thematisch und tragen das Material für eine Produktion gemeinsam zusammen. Ich mag den Perspektivenwechsel, man bekommt noch mal einen ganz anderen Blick auf die Dinge und kann freier experimentieren und Grenzen überschreiten. Das ist unbedingt eine Bereicherung.

Ihre Arbeiten begleiten von Anfang an auch ein Interesse an ­Naturwissenschaft und nachhaltiger Kulturproduktion. Das ist ein Forschungsfeld, das in der gegenwärtigen Krisensituation mehr als präsent ist. Was, denken Sie, kann man mehr tun, als weniger zu reisen oder Strom zu verbrauchen? Spielt das eine Rolle in ­Ihrer künstlerischen Praxis?

Mich interessiert, wie man Räume gestaltet, aber auch, wie man über Räume rückwärts nachdenken kann. Ich bin überzeugt davon, dass man durch Wegnehmen gestalten kann. Indem eben nicht noch etwas hinzugefügt oder aufgesetzt wird. Wir sollten von verschiedensten Seiten auf das schauen, was bereits da ist, und eher fragen, können wir uns darauf beschränken oder sogar reduzieren? Ich würde behaupten, dass diese Fragen vorangestellt werden müssen, vor das Ganze. Wir sollten versuchen, von Grund auf anders und ganzheitlicher mit unserer Umwelt zu denken. Das beschäftigte mich schon bei der Arbeit für „Natural Habitat“ in Zusammenarbeit mit Laurie Young im Naturkundemuseum Berlin, die im frühen Kontext der großen Anthropozän-Debatten entstanden ist. Auch bei unserem aktuellen Projekt mit Studierenden aus Athen und Offenbach in Elefsina (Griechenland) jetzt im Herbst, wenn wir ein Open-Air-Kino umgestalten, spielen Krisenerfahrungen und deren Folgen eine große Rolle. Ich bin da selbst total gespannt. Der Ausgang ist offen. Kann sein, dass das eine einmalige Aktion bleibt und das Kino wieder in seinen Dornröschenschlaf fällt. Oder es sagt jemand, hey, lasst uns doch weitermachen. Dass man interveniert, finde ich wichtig.

Das Thema Kino und Film verfolgen Sie schon länger. Im Berliner Martin-Gropius-Bau 2016/2017 haben Sie in Zusammenarbeit mit Omer Fast die Szenografie für die Ausstellung „Reden ist nicht immer die Lösung“ entwickelt.

Aus szenografischer Sicht bestand die Ausstellung aus Warte­räumen und Kinosälen. Die Warteräume fungierten als eine Art Schleuse, die man auch als zwischen den Disziplinen bezeichnen könnte. Sie unterbrachen den Weg durch die Black Boxes der ­Ausstellung mit raumfüllenden, konkreten, hellen Wartesituationen, in denen die Architektur des Museums tragender Teil der Arbeit wird. Besucher:innen der Ausstellung betraten die Räume und wurden zu Wartenden, mittendrin im Geschehen. Man war nie sicher, in was für einem Raum man sich befand, was echt und was Fiktion war.

So ähnlich war es auch bei unserer Zusammenarbeit für „Abfahrt“ 2020/2021 in der Pinakothek der Moderne in München. Dort war es eine Dreizimmerwohnung mit Küche, Bad, die wir als Grundlage für die Beschäftigung mit einem Selbstbildnis auf Papier von Max Beckmann eingerichtet haben.

Es heißt, Beckmann befand sich damals im Zustand eines unaufgeräumten Übergangs. War das Ihr Ausgangsmotiv?

Es sollte unklar sein, ob hier jemand ein- oder auszieht. Die Wohnung befand sich in einem Zwischenzustand, Teile des Mobiliars waren noch oder schon verpackt, Kisten und Materialien stapelten sich. Omers Arbeiten musste man in diesem Transitraum buchstäblich suchen, in einer Schublade oder im hinteren Eck des Wohnzimmers. Mir gefällt die Vorgehens­weise, über die Narration des Raumes nachzudenken und welche neue Symbiose die Videoarbeiten mit ihrer Umgebung eingehen – im Gegensatz zu klassischen Filminstallationen und ihrer reduzierten Black-Box-Ästhetik, die natürlich immer gut funktioniert.

Für das Frühjahr wurden Sie von doublelucky productions am Schauspiel Leipzig eingeladen, den Raum in der Baumwollspinnerei zu gestalten. Entstanden ist die begehbare Rauminstallation für die Performance „Auflösung“ von Chris Kondek & Christiane Kühl. Material und Menschen sollten gleichermaßen als Akteure in einem Ökosystem gedacht werden. Hat das in Ihren Augen funktioniert?

Uns war die Entfremdung von der Umwelt wichtig und der Versuch, wieder Kontakt aufzunehmen. Die letzten Jahre waren geprägt von Erfahrung von Auflösung, seien es existenzielle Sicherheiten, soziale Gefüge oder der Umgang mit der Natur und unseren Ressourcen. Ich wollte mit Materialien arbeiten, die es vor Ort gab, aber die wir auch in den Materialkreislauf zurück­geben konnten. Auf keinen Fall wollten wir einen Müllberg ­zurücklassen. An verschiedenen Stellen rieselte Sand von der ­Decke, amorphe Säulen, die sich verwachsen, vervielfacht oder verformt haben. Acht Tonnen Pflanzen, Sand, Bauschutt, Steine, Pilze, Theaterpodeste, Viren, Daten, Algorithmen, Sensoren, ­Monitore so zusammengefügt, dass sich ein großes Raumloch ­ergab, in das es von der Decke tropfte. Mit der Bewegung der Besucher:innen wurden durch Sensoren Prozesse in Gang gesetzt, die das Eigenleben des Raumes fortlaufend veränderten. Analoges mit Digitalem, das nicht mehr wegzudenken ist, alles mit allem verwoben, in der ehemaligen Baumwollspinnerei, auch ein Stück Historie.

Irgendwie eine dystopische Raumwelt für mich.

So dystopisch ist die Arbeit am Ende gar nicht. Da es auf dem ­eigenen Weg durch den Raum einiges zu entdecken gab, trifft es das Forschende vielleicht besser. Als wir mit dem Aufbau fertig waren und kurz vor der Premiere standen, mussten die Theater wegen des Lockdowns schließen. Alles musste raus und nach der Wiederaufnahme des Spielbetriebs wiedereingerichtet werden. Damit hatten wir nicht gerechnet. //

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