Da ist man zunächst mal irritiert: Was sind das für sonderbare gymnastische Übungen, die ein splitternackter Schauspieler auf einem Podest in der Bühnenmitte stehend exerziert, halb diskret hinter einem Gazevorhang, aber doch nicht wirklich vor unseren Blicken geschützt? Es ist durchaus lästig, in die Haltung eines Voyeurs gezwungen zu werden, aber nach und nach gibt die Geste ihren Sinn preis. Auch die anderen sechs Spieler üben immer wieder scheinbar affektierte Posen ein. Am Schluss des Abends erfährt man, was ein Kontrapost ist und dass diese klassischantike Körperstellung auch Chiasmus genannt wird – wie die gleichnamige rhetorische Figur.
In Thomas Melles Stück „Bilder von uns“ geht es um Pädophilie. Ein Pater hat in einem Internat Jungen missbraucht und fotografiert. Der Protagonist Jesko (gespielt von Stefan Walz) erhält eines Tages auf seinem Handy Nacktfotos von sich selbst aus jener Zeit und arbeitet den Fall, zunächst widerstrebend, auf. Ob Jesko selbst ein Missbrauchsopfer ist, es womöglich verdrängt hat, bleibt offen. Der Titel „Bilder von uns“ soll jedenfalls verdeutlichen, dass auch der Zuschauer und die Zuschauerin gemeint und betroffen sind; wir alle lassen Bilder von uns machen, die – womöglich – erotische Anreize liefern können in einer nachhaltig sexualisierten Welt. Zumal in Zeiten von...