Oper als Aufführung
Erschienen in: Recherchen 113: Die Zukunft der Oper – Zwischen Hermeneutik und Performativität (06/2014)
Einleitende Bemerkungen
Im Exposé zum Symposion „Die Zukunft der Oper“ werden vor allem drei Problemkomplexe benannt. Der erste betrifft die Frage, ob beziehungsweise inwiefern eine Regiearbeit, die sich auf Material der Vergangenheit bezieht, als eigenständiges Kunstschaffen zu begreifen sei. Die beiden anderen gelten vermeintlichen Oppositionspaaren – dem Verhältnis von Werktreue und Regietheater und der Relation zwischen hermeneutischem und performativem Vorgehen. Da der erste Problemkomplex Gegenstand des Kapitels zum Thema „Die Kunst“ ist, beschränke ich mich in meinem Beitrag auf die Diskussion der beiden anderen.
Werktreue versus Regietheater
Der Begriff der Werktreue ist äußerst problematisch, wenn er nicht als ein historischer Begriff verstanden wird. Er wurde als ein politischer Kampfbegriff gegen die geltende Zensurpraxis in den letzten Dekaden des 19. Jahrhunderts geprägt. Libretti und Dramentexte wurden nicht nur auf politisch, religiös oder moralisch anstößige Sätze hin gelesen und entsprechend zensiert, auch einzelne Begriffe galten als unzulässig. So war es in Wien verboten, auf der Bühne das Wort „Kreuz“ auszusprechen; selbst in der eher harmlosen Variante des Kompositums „Fensterkreuz“ fiel es dem Rotstift des Zensors zum Opfer. Der Begriff der Werktreue wurde erfunden, um den Dramen- und Librettotexten den Status eines quasi heiligen Textes zu verschaffen, der nicht angetastet werden durfte, um...