Theater der Zeit

Magazin

Ressource Bühnenbild

Zirkulare Bühnen am Beispiel von Barbara Ehnes und Eva Lochner

von Knut Klaßen

Erschienen in: Theater der Zeit: Freie Szene – Occasions – Ereignisse im Raum (04/2023)

Assoziationen: Kostüm und Bühne Dossier: Klimawandel Schauspiel Frankfurt

Ensemble von „Solastalgia“ von Thomas Köck in eigener Regie, Schauspiel Frankfurt, Koproduktion Kunstfest Weimar
Ensemble von „Solastalgia“ von Thomas Köck in eigener Regie, Schauspiel Frankfurt, Koproduktion Kunstfest WeimarFoto: Robert Schittko

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Nachhaltig am Theater zu produzieren rückt nicht zuletzt durch den Fonds Zero der Bundeskulturstiftung in den Fokus. Dabei ist der Begriff Nachhaltigkeit so dehnbar, dass er kaum die notwendige Herangehensweise beschreibt. Er wurde in der Forstwirtschaft geprägt und meint, den Status quo zu erhalten. Das können wir uns aber nicht mehr leisten, wir brauchen eine sozial-ökologische Transformation in Richtung Schonen.

Schon seit Längerem arbeitet Barbara Ehnes, Bühnenbildnerin, Regisseurin und Professorin an der Hochschule für Bildende Künste (HfBK) Dresden, an Ideen, wie Theater zu Laboren des zirkularen Denkens werden können. Sie sind ideale Forschungsorte, befinden sich doch verschiedene Gewerke in dichter Verzahnung in einem Haus. Es benötigt nur eine kleine Zelle von Mitarbeiter:innen, die Fragen stellen: Woher kommt unser Material? Wie verbinden wir Materialien reversibel? Wie vermeiden wir Verbund? Wie müsste ein modulares, wiederverwendbares Hinterkonstruktionssystem aussehen? Gibt es neue Materialien, die selbst wachsen, cool aussehen, kompostierbar sind? Können wir auch Zeit zur Demontage einplanen? Zu jeder Montagehalle kommt jetzt auch eine Demontagehalle, sagt Nadia Fistarol, Bühnenbildnerin und Professorin an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHDK). Barbara Ehnes und Nadia Fistarol haben im Zusammenhang ihrer Hochschulen StuFF gegründet – ein Open-Source-Projekt –, mit dem Ziel, gemeinsam mit engagierten Theaterschaffenden ein vermehrt ökologisches und nachhaltiges Denken, Forschen und Handeln im Theater zu erwirken.

Für das Stück „Solastalgia“, Text und Regie Thomas Köck, eine Koproduktion von Schauspiel Frankfurt und Kunstfest Weimar 2022, haben Barbara Ehnes und ihr Team im Frankfurter Theater Myzel wachsen lassen. In einem provisorischen Wärmeraum wurden über Wochen Platten wie Pflanzen gezüchtet. Sie können Styropor ersetzen, wenn sie auch nicht so bruchfest sind. Jede Platte ist ein Unikat und Wertobjekt und kann nach der letzten Vorstellung kompostiert werden. Entstanden ist eine beeindruckende halbkreisförmige Bühne, geprägt durch Myzel, in das Abdrücke von weg­geworfenen Dingen eingewachsen sind. Um Begehbarkeit und Transportierbarkeit zu gewährleisten, entschied sich Ehnes für eine Unterkonstruktion aus Holz – es gilt immer abzuwägen, wie rein neue Materialien eingesetzt werden können.

In den Niederlanden gibt es schon länger Myzel-Know-how, es werden Pilzpartys gefeiert, bei denen auf Myzel getanzt wird, bis das Material verdichtet genug ist, um damit Taubenhäuser zu bauen. Auch davon beeinflusst entstehen Versuchszellen an verschiedenen Theatern. Die Hoffnung ist, dass der Energieverbrauch bei der Herstellung des Myzelwerkstoffs sich für den Vorteil der Kompostierbarkeit rechnet. Erstmal gilt es zu recherchieren und Edelpilzzüchterbetriebe in der Nähe zu finden, die die abgeernteten Edelpilzblöcke auf Holz- oder Heubasis zur Weiterverarbeitung zu neuen Formen abgeben.

Daran arbeitet auch Eva Lochner am Theater Braunschweig, die unter anderem bei Barbara Ehnes Bühnen- und Kostümbild studiert hat, für das im Fonds Zero geförderte Stück „Funken“; Premiere ist am 26. Mai 2023. Ehnes’ Frankfurter Bühne war für die Werkstätten in Braunschweig das entscheidende Argument, es mit Myzel zu versuchen. Es wurde eine Allianz aus örtlichen Initiativen und dem Fraunhofer Institut für Holzforschung gebildet, um aus Pilzen der Gattung Glänzender Lackporling Formen nach dem Vorbild von Caspar David Friedrichs „Eismeer“ herzustellen. Durch den Fonds Zero ist es möglich, neue Materialien wissenschaftlich zur Serienreife zu bringen. Eines hat das Fraunhofer Institut schon heraus-gefunden: Elefantengras vom Bauernhof um die Ecke ist als organische Verbundfaser sogar CO2-negativ. Und: Höhere Festigkeit als das Myzel erreicht man mit Casein-Proteinen. Wichtig ist für Eva Lochner, den Pilz nicht als Ausbeutungsressource zu behandeln, sondern alle Erkenntnisse in eine Open-Source-Struktur für ökologische Produktionstechniken einfließen zu lassen.

Neben der Verwendung von Materialien mit positiv bewerteter Herkunft, Beschaffenheit und Recyclebarkeit sollte auch der CO2-Verbrauch kompensiert werden. Im Fonds Zero geförderte Kultureinrichtungen müssen mit 1 Prozent Kompensation des anfallenden CO2-Verbrauchs auskommen. Das klingt wenig, aber im Moment kostet eine Tonne CO2 nur 30 Euro. Als Beispiel: Bei einem Budget von 140.000 Euro könnten 50 Tonnen CO2 zum Beispiel durch Zertifikate kompensiert werden, bezogen auf alle Vorstellungen innerhalb von zwei Jahren. CO2-Rechner im Internet geben Auskunft darüber, was möglich ist. Wichtig bleibt: Erst Emissionen soweit wie möglich vermeiden und reduzieren, dann kompensieren. Dabei muss real CO2 aus der Atmosphäre genommen und nicht nur CO2 mit Projekten für erneuerbare Energien gegengerechnet werden. Da sind wir wieder bei der Forstwirtschaft: Bäume pflanzen. Zu empfehlen sind Kompensationen mit dem Goldstandard.

Das eine ist, ressourcenschonend zu produzieren, das andere, wiederzuverwerten. Das bedeutet nicht nur die Demontage zu neuem Baumaterial, sondern auch, Innovationsgeschwindigkeit und Alleinstellungsmerkmal infrage zu stellen. Warum nicht eine Bühne für viele Stücke? Bert Neumanns Praterbühnen, die eine Spielzeit durchstanden, haben es vorgemacht. Bei Gintersdorfer/Klaßen kommt seit 2010 dasselbe Alusystem in neuen Zusammenstellungen zum Einsatz. Ein Akt der Widerständigkeit gegen andauernde Innovation. Ist es nicht auch möglich, weniger in Große-Bühne-Formaten zu arbeiten, sondern mehr in Richtung Weiternutzung in der Lebenswelt? Aus dem Alusystem wird der Esstisch. Oder: Wenn wir auf Gastspiel gehen, lassen wir die große Bühne weg und spielen minimal.

Oft gehen die zirkularen Ideen von Bühnenbildner:innen und Theatern aus, seltener von der Regie. Die Entwicklungsarbeit bringt die autonome Entwicklung von Bühnen vo-ran. Die Bühne hat das Gesamte im Auge wie auch die Regie. Der Diskurs mit Initiativen und wissenschaftlicher Forschung verbessert die theaterinterne Kommunikation. Alles ist aber so komplex, dass heutige Annahmen bald infrage gestellt werden. Wichtig ist der zirkulare Drive, der nicht die künstlerische Freiheit limitiert, sondern als Katalysator wirkt, um gegen determinierte und hierarchische Theaterformen zu arbeiten.

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