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Laut und stark
Die zweite bundesweite Ensemble-Versammlung in Potsdam sucht nach einem konstruktiven Miteinander im Kampf um bessere Arbeitsbedingungen
von Harald Wolff
Erschienen in: Theater der Zeit: Sie sind zurück – Vegard Vinge und Ida Müller im Nationaltheater Reinickendorf (09/2017)
Assoziationen: Brandenburg
Angewiesenheit – dieser Begriff beschreibt den Kern des Theatermachens. Man ist voneinander abhängig. Und das gelte auch für Intendanten, merkte Ulrich Khuon, selbst Intendant des Deutschen Theaters Berlin und Präsident des Deutschen Bühnenvereins, in einer spontanen Ausführung an. Das gilt aber nicht nur innerhalb der Theater, es gilt auch gegenüber der Politik. Auch deshalb hat Frontfrau Lisa Jopt von Anfang an darauf geachtet, dass das Ensemble-Netzwerk (EN) vor allem eines ist: konstruktiv.
Ein Signal des Miteinanders geht von der zweiten bundesweiten Ensemble-Versammlung aus, die vom 12. bis 14. Mai in der Reithalle des Hans Otto Theaters Potsdam stattfand. Während die Wut über oft niedrige Gagen und den hierarchisch strukturierten Betrieb vergangenes Jahr in Bonn noch mit Händen zu greifen war und Lisa Jopt sich immer wieder mit Verve dazwischenwarf, wenn die Stimmung zu kippen drohte, geht es in Potsdam überwiegend heiter-konzentriert zu. „Fast zu harmonisch“, wie einer der (wenigen) anwesenden Intendanten meint.
Die neue Entspanntheit liegt natürlich an den inzwischen erzielten Erfolgen. Offenkundig ist, dass auch der Bühnenverein Veränderungen will. Die Anhebung der Mindestgage und die Regelung bei Gastverträgen sind wichtige Schritte. Und natürlich ist es ein starkes Signal, wenn Florian Fiedler zum Antritt seiner Intendanz in Oberhausen, der Stadt mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung Deutschlands, ein Anfängergehalt von 2300 Euro verkündet. Mindestens ebenso wichtig sind die informellen Verbesserungen der Produktionsbedingungen, die sich über das EN in der Theaterlandschaft verbreiten. Lisa Jopt nennt die Mitglieder des EN in ihrer Eröffnungsrede völlig zu Recht „Multiplikatoren der guten Ideen“.
Allerdings: Um nachhaltige Veränderungen zu erzielen, müssten sich die EN-Mitglieder jetzt in Scharen gewerkschaftlich engagieren. Bezeichnenderweise sind es immer wieder die Vertreter der Institutionen, die dazu auffordern. „Treten Sie in die Gewerkschaft ein – und das sage ich Ihnen als Vorstand eines Arbeitgeberverbandes!“, ruft Marc Grandmontagne in die Runde. Da ist es schon kurz vor Mitternacht, denn gleich am Eröffnungsabend ist diese Mischung aus politaktivistischem Basisseminar und Party auf sympathische Weise komplett aus dem Ruder gelaufen. Der neue Geschäftsführer des Deutschen Bühnenvereins schmeißt deshalb sein Redemanuskript fort, als er endlich an der Reihe ist. „Seien Sie laut!“, fordert er kurzerhand die rund zweihundert versammelten Ensemblisten auf. Die Produktions- und Arbeitsbedingungen am Theater zu verbessern bedeutet zuallererst: Kulturpolitik qualitativ neu zu erfinden. Das geht nur über politischen Druck.
Die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (GDBA) selbst präsentiert sich dieses Jahr erheblich kämpferischer als im vergangenen und gewinnt diesmal Herzen. Wie weit der Weg zu gegenseitigem Verständnis noch ist, wird aber auch deutlich, als sie auf ihren Normalvertrag-Bühne-Wochenendworkshop hinweist, bei dem die Teilnahme 600 Euro kosten soll – für viele Anwesende unbezahlbar. Immerhin: Wenige Tage nach dem Potsdamer Treffen übernimmt die GDBA fast alle Forderungen des EN, darunter auch die, dass Solisten nicht weniger verdienen sollen als Kollektive. Nun wird die Gewerkschaft daran gemessen werden, was sie davon umsetzen kann.
Aufschlussreich ist der Vortrag am letzten Tag, den Stephanie Gräve (Ex-Schauspieldirektorin unter Stephan Märki am Konzert Theater Bern) über das viel diskutierte Mitbestimmungsmodell des Frankfurter Theatermanagementprofessors Thomas Schmidt hält. In ihrer differenzierten Darstellung als „Denkmodell“ nimmt es sich weniger radikal aus, als es in den Forderungen des EN mitunter klingt.
Während das EN die größte theaterinterne politische Bewegung seit den Mitbestimmungsdebatten an der Berliner Schaubühne und dem Frankfurter TAT sein dürfte, weist Ulrich Khuon auf den Unterschied im Zeitgeist hin: Damals sei es stärker um gesellschaftliche Prozesse gegangen, während es sich heute vor allem um persönliche Arbeitsbedingungen drehe.
Der Gründungsimpuls des Netzwerkes scheint aber im Kern die durchaus politische Frage zu sein: Wie wollen wir künstlerisch arbeiten? Bei um fünzig Prozent kleineren Ensembles, die fünfzig Prozent mehr Vorstellungen spielen und dabei fünfzig Prozent weniger verdienen als ihre Kolleginnen und Kollegen in den achtziger Jahren, sind die Arbeitsbedingungen da hoffentlich nur der erste Schritt. Die Gagendebatte treibt der Präsident des Bühnenvereins dann selbst einen entscheidenden Schritt weiter, indem er auf dem Abschlusspodium laut über eine Kombination des vom EN geforderten Stufenmodells mit frei verhandelbaren Zusätzen bei den Gagenverhandlungen nachdenkt.
Lisa Jopt zieht am Ende das Fazit: „Wir müssen uns bilden“, in rechtlicher wie politischer Hinsicht, und das dürfte dann auch das Programm nächstes Jahr in Bochum werden. Das langfristige Ziel scheint mir: Bund und Länder werden die Kommunen besser in die Lage versetzen müssen, Künstler angemessen zu bezahlen. Das muss, in gemeinsamer Angewiesenheit von EN und Intendanten, das politische Ziel der nächsten Jahre sein. //
Der Autor ist Vorsitzender der Dramaturgischen Gesellschaft.