Film
Der akustische Kommentar
Ein vorschlag zur Verdeutlichung fremdsprachiger Filme
von Kurt Maetzig
Erschienen in: Theater der Zeit: Diskussionen ohne Grundlage (11/1946)
In Deutschland und insbesondere in Berlin wiederholt sich heute von Woche zu Woche die Situation, dass ausländische Filme aus vielen Ländern eintreffen, die dem deutschen Publikum gezeigt werden sollen und bei denen die Frage entsteht, in welcher Form sie dem deutschen Beschauer zugänglich gemacht werden können. Man kennt die Vorführung in Originalfassung, die Kommentierung durch Fußtitel und die Synchronisation; die Wahl der richtigen Verdeutschungsform muss in jedem einzelnen Falle von neuem geprüft werden.
Die Vorführung in Originalfassung kommt nur unter zwei Voraussetzungen in Betracht, nämlich, wenn ein sprachkundiges Publikum vorhanden ist oder wenn der Film so wenig Dialoge enthält, dass er auch ohne Übertragung ohne weiteres verständlich ist. Dieser Idealfall ist leider nur selten gegeben, und so muss man sich dazu entschließen, zwischen einer der Methoden der Verdeutschung zu wählen.
Die Vorführung eines Spielfilms mit Fußtiteln bewahrt die künstlerische Einheit des Originals. Der Zusammenklang von sprachlichem Ausdruck, Gestik und Mimik bleibt unverändert, und die Verständlichkeit wird durch die Fußtitel erzielt. Leider hat diese Methode den großen Nachteil, dass sich der Sinn des Gesprochenen nur grob und ungefähr wiedergeben lässt, da man nur einen Bruchteil der Dialoge in Form von Titeln wiedergeben kann. Darum können diese Titel auch nie als eine Übersetzung des Filmdialogs angesehen werden. Sie können dem Zuschauer nur ungefähr als Richtschnur dienen, sich in der Handlungsführung zu orientieren. Diese Methode hat aber noch den weiteren Nachteil, dass sie das Auge zu stark vom Bilde ablenkt. In dem Maße, in dem die Zahl der Fußtitel ansteigt, werden die Feinheiten des Bildes übersehen, da die Aufmerksamkeit des Zuschauers fast ausschließlich durch das Lesen der Titel gefesselt ist.
Eine Synchronisation jedoch verlangt einen größeren technischen Aufwand der Bearbeitung. Man bemüht sich, die Texte möglichst treffend zu übersetzen, um sie an die Mundbewegungen der Filmschauspieler anzugleichen. Bei dieser Angleichung erweist es sich nun, dass jede Synchronisation ein Kompromiss zwischen gutem Deutsch und exakter Lippensynchronität ist. Dieser Kompromiss macht den einen Hauptmangel der Synchronisation aus. Der andere liegt darin, dass die ursprüngliche Zusammengehörigkeit des bildlichen und des tonlichen Ausdrucks gespalten wird, dass die Mimik und Gestik wie im Original erhalten bleiben, dass aber eine fremde Sprache zu hören ist. Die Echtheit der Inszenierung, das Lokalkolorit, wird dadurch gründlich zerstört, und dies ist der wichtigste Grund, weshalb die Synchronisation vom künstlerischen Standpunkt aus stets unbefriedigend bleiben wird.
Wenn man zwischen der Betitelung und der Synchronisation zu entscheiden hat, so wird man die Synchronisation in den Fällen wählen, in denen ausgedehnte Dialoge den Film beherrschen, während man Filme, deren Hauptwirkung vom Bild ausgeht, mit Fußtiteln versehen wird. Bei diesen Filmen wird es stets leichter möglich sein, die Handlung verständlich zu machen, als bei den Dialogfilmen, und man ist nicht gezwungen, den Reiz des Originals durch eine neue Vertonung in fremder Sprache zu zerstören.
Hat man sich einmal zur Synchronisation entschlossen, so tritt eine neue Schwierigkeit immer dann auf, wenn Gesangspartien im Film vorkommen. Die konsequenten Synchroniseure stimmen in diesem Falle dafür, im synchronisierten Film auch die Gesangstexte zu verdeutschen, während die andere Gruppe es vorzieht, diese Gesänge unverändert zu lassen. Die Gründe beider Parteien sind einleuchtend. Diejenigen, die für das Original stimmen, führen an, dass man wenigstens bei den Gesängen den eigenartigen Zauber und das Typische des Originals nicht zerstören solle und dass es noch schwerer sei, deutsche Sänger zu finden, die durch ihre Kunst eine Vorstellung der ursprünglichen Darbietung erzielen können, während die andere Partei ebenfalls mit Recht ins Feld führt, dass eine gute Synchronisation beim Zuschauer die vollkommene Illusion eines deutsch aufgenommenen Films erwecke und dass diese Illusion beim Einsetzen der Originalgesänge grob zerstört werde.
Alle diese Erwägungen treten bei jedem Film von neuem auf, und die Frage nach neuen Formen der Präsentation ausländischer Filme in Deutschland wird immer dringender gestellt.
Ich möchte nun heute über eine solche neue Form berichten, die sich jetzt entwickelt und in uns die Hoffnung erweckt, dass sie die Vorzüge der bisherigen Verfahren kombiniert, ohne ihre Nachteile zu übernehmen. Sie besteht grob gesagt darin, den Film bildlich unverändert zu lassen und tonlich über den Originalton eine oder mehrere neue Stimmen zu legen, die in deutscher Sprache die Handlung kommentieren. Diese Methode hat sich aus der Situation entwickelt, in der wir uns heute bei der Wochenschau befinden und die auch bei der aktuellen Rundfunkreportage ähnlich ist. Es kam dort in letzter Zeit häufig vor, dass die Reden ausländischer Besucher aufgenommen wurden und dass man dem Publikum diese Originalaufnahmen vorführen und gleichzeitig den Inhalt der Ansprache verständlich machen wollte. Wir erniedrigten bei der Überspielung unserer Synchronaufnahmen die Lautstärke des Originaltons so weit, dass er nur noch einen Geräuschteppich bildete, und ließen einen deutschen Kommentator möglichst kurz und prägnant das Wesentlichste dieser Rede sagen. Sobald dann die deutsche Stimme verstummte, erhöhten wir die Lautstärke des Originaltons wieder, so dass im Endeffekt der Reiz des Originals und eine volle Verständlichkeit erreicht waren, wobei das Auge nicht durch das Lesen irgendwelcher Titel vom Bilde abgezogen wurde.
Diese Situation, vor der wohl alle Wochenschauen schon gestanden haben, hat sich im heutigen Berlin, wo bei offiziellen Anlässen so häufig verschiedene fremde Sprachen zu hören sind, so oft ergeben, dass diese Methode der Kommentierung hier häufiger angewandt und weiter entwickelt wurde als anderswo. Ich habe außer im „Augenzeugen“ diese Methode des akustischen Kommentars zunächst bei einem Dokumentarfilm, „Maiparade 1946“, und dann bei einem Querschnittfilm durch Theater, Oper und Kabarett in Leningrad („Kino Konzert Nr. 1“) verwendet, bei dem dieser Kommentar in Form eines Dialogs zwischen einer männlichen und einer weiblichen Stimme gegeben wurde; ich gehe jetzt dazu über, zum erstenmal einen großen Spielfilm in dieser Weise zu kommentieren. Es handelt sich um den russischen Film „Der Schwur“, der die Entwicklung der Sowjetunion von Lenins Tod bis in unsere Tage durch eine Spielhandlung schildert und in dem auch die offiziellen Persönlichkeiten des russischen Lebens als handelnde Personen auftreten. Der Film enthält außerordentlich viele Dialoge, und eine Subtitrierung kommt schon aus diesem Grunde nicht in Betracht. Auch eine Synchronisation würde sich hierfür nicht empfehlen; denn es muss befremdend wirken, zum Beispiel aus Stalins Munde eine deutsche Rede zu vernehmen. Daher scheint in diesem Falle die Methode des akustischen Kommentars ganz besonders angebracht. Da es sich aber um einen außerordentlich breit angelegten, langen Film handelt, fürchteten wir, dass eine einzelne Kommentatorstimme monoton und ermüdend wirken könne, und wir führten deshalb für die Hauptpersonen der Handlung besondere Stimmen ein. Die Haupthandlung sollte zuerst von einem neutralen Sprecher in Form eines Tatsachenberichtes kommentiert werden. Die Gruppe, die an diesem Film arbeitet, hat jedoch die Methode des akustischen Kommentars künstlerisch weiterentwickelt, und zwar in der Weise, dass wir nun den neutralen Sprecher durch die Hauptperson der Handlung, die Mutter, ersetzen, welche ihre Lebensgeschichte, die der Film zeigt, erzählt und in deren Erzählung sich von Zeit zu Zeit gewissermaßen in Anführungsstrichen die in direkter Rede gehaltenen Monolog- und Dialogteile einschieben, welche dann von den anderen Stimmen übernommen werden. Hierdurch hoffen wir, neben einer klaren Verständlichkeit der Handlung und der Dialoge den vollen Reiz des Originals zu erhalten und Eintönigkeit zu vermeiden.
Bei der Ausarbeitung dieser Methode des akustischen Kommentars ergab es sich sehr bald, dass man bei der Auswahl der Stimmen ganz anders vorgehen muss als bei der Synchronisation. Während man dort Stimmen suchen muss, die in Klang und Charakter den Stimmen des Originals so weit wie möglich gleichen, muss man beim akustischen Kommentar Stimmen finden, die dem Charakter der Rollen entsprechen, in der Stimmlage sich jedoch deutlich von den Originalsprechern absetzen, so dass das Ohr immer ohne Anstrengung Original und Kommentator unterscheidet.
Die neue Form des akustischen Kommentars ist sicher nicht gleich gut für alle Arten ausländischer Filme geeignet. Aber es scheint mir nach den geringen Erfahrungen, die wir hiermit bis jetzt sammeln konnten, dass wir sie mit Erfolg insbesondere bei Dokumentarfilmen, bei Filmen mit dokumentarischen Einschlägen (wie bei dem Film „Der Schwur“) und bei folkloristischen Filmen anwenden können und sollen. Gerade bei folkloristischen Filmen, wie sie uns zum Beispiel der russische Filmverleih aus der Produktion der usbekischen, turkmenischen oder tadschikischen Filmstudios gezeigt hat, wirkt es besonders störend, aus dem Munde dieser uns so fremden Gestalten deutsche Worte zu hören. Der Dialoginhalt und die Handlungsführung dieser Filme sind übrigens meist so einfach und volksliedhaft, dass sie sich im akustischen Kommentar wesentlich kürzer als im Original wiedergeben lassen. So bleibt uns zwischen den einzelnen Sätzen in deutscher Sprache genügend Zeit, um uns wieder auf den originalen Klang von Sprache, Musik und Gesang einzustellen.
Sicher kann die Methode des akustischen Kommentars noch weiter entwickelt werden. Um so mehr hoffe ich, dass der erste große Versuch hiermit, die Kommentierung des Films „Der Schwur“, glückt und dass dadurch der Weg für eine weitere Anwendung und Entwicklung dieses Verfahrens geöffnet wird.