Auftritt
Konstanz: Mein Krampf
Theater Konstanz: „Mein Kampf“ von George Tabori. Regie Serdar Somuncu, Ausstattung Damian Hitz
von Bodo Blitz
Erschienen in: Theater der Zeit: Theater Thikwa Berlin: Ungezähmtes Spiel (06/2018)
Assoziationen: Theater Konstanz
Einem Tsunami gleich türmte sich das Medieninteresse im Vorfeld der Inszenierung von „Mein Kampf“ am Theater Konstanz auf. Es hatte sich an der äußerst provokanten Idee der Regie entzündet, die Vergabe der Eintrittskarten an das Tragen von Davidstern oder Hakenkreuz zu koppeln. Bei der Premiere jedoch blieb von der geplanten Einbeziehung des Publikums nichts mehr übrig. Insofern konnte der Rezensent die zweite Aufführung in wohltuender Ruhe besuchen, ohne Polizeischutz und ohne Medienvertreter, welche sich vornehmlich für den Skandal interessierten. Der Blick auf die Inszenierung war frei.
Im Publikum sitzt Klaus Redlin, langjähriger Protagonist des Konstanzer Schauspielensembles und inzwischen in Rente. Er hatte den Schlomo Herzl aus Taboris Farce im Konstanzer Theater der neunziger Jahre selbst gespielt. Seine private Einschätzung als Zuschauer nach dem Schlussapplaus? „Schwer zu verdauen“ sei diese Inszenierung. Das war beschreibend gemeint, nicht wertend. Dem ist wenig hinzuzufügen. Tatsächlich geht Serdar Somuncus Blick nicht primär zurück in die frühe Zeit der Wiener Kunstakademie, in der Tabori sein Stück spielen lässt: Hitler als Versager trifft auf den Juden Schlomo Herzl. Somuncus Interesse speist sich aus der Gegenwart. Er leuchtet Grundgedanken des Nationalsozialismus grell aus, die sich heute wieder im Aufwind befinden. Seine Inszenierung zielt auf die Aktualität von Rassismus und totalitärem Denken. Die Farce in Konstanz nimmt folgerichtig mit Videoeinspielungen auf dem eisernen Vorhang Fahrt auf. Verstörende politische Nachrichtendiskurse werden dort ineinandergeschnitten: das offene Meer, das tote Flüchtlingskind am Strand, die erstarkte Rechte in Person von Marine Le Pen und Donald Trump. Assoziative Nachrichtensplitter, die mitten hinein in die Behaglichkeit einer bürgerlichen Kunstwelt platzen. Der Unterhaltungsfaktor fehlt nicht, weil sich ja alles vermarkten lässt: „Diese Inszenierung wird Ihnen präsentiert von …“, flimmert es über den eisernen Vorhang. Als er hochfährt, öffnet sich der Mikrokosmos Taboris. Mittig ein einziges Stockbett, welches die fehlende Intimität der Wiener Männerpension im Bühnenbild exemplarisch veranschaulicht. Es ist mit einer kleinen, abrollbaren Projektionsleinwand ausgestattet. Sie fängt eingangs historische Filmschnipsel in Schwarz-Weiß ein, die hinein in die Vergangenheit der NS-Zeit führen, zu Weltkrieg und Holocaust. Somuncus Spot auf die Langlebigkeit der NS-Ideologie hat Folgen für die Art und Weise, wie die beiden Protagonisten Taboris in Szene gesetzt werden. Hitlers Lächerlichkeit mag im Unterhosenkostüm vordergründig gegeben sein – doch seine Gefährlichkeit scheint immer wieder durch. Der Hitler aus Somuncus Inszenierung lernt schnell, seine Unsicherheit abzulegen: Peter Posniak versteht es meisterhaft, Redetempo und gutturale Unverständlichkeit, Aggression und Atemlosigkeit in der Sprechweise des späteren Diktators wie auf Knopfdruck aufblitzen zu lassen. Schwerer hat es da Thomas Fritz Jung in der Rolle des Schlomo Herzl. Jüdischer Witz, überhaupt Ruhe und lakonische Lebensart – all das nimmt der Zuschauer erst in zweiter Linie wahr, weil die Bühne des Diktators früh bereitet wird. Hitlers Playback-Einlage zu Helene Fischers „Atemlos“ etwa, vielleicht als Referenz an Massengeschmack und Populismus gedacht, führt heraus aus dem Setting Taboris. Da kann Thomas Fritz Jung machen, was er will – gegen solch einen groben Hammer kommt seine leise Figur kaum an. Der aktualisierende Rahmen der Inszenierung und das darin eingebettete Tabori-Stück stehen in Konstanz relativ unverbunden nebeneinander. Geschlachtet wird bei Somuncu am Ende nicht ein Huhn. Tomasz Robak als Himmlisch reißt eine schwarze Kinderpuppe auseinander, die für den „Flüchtling Ali“ steht. Taboris messerscharfer Monolog über die gourmethafte Vernichtung eines Lebewesens fließt in eine gewalttätig dargestellte Gegenwart. Das bleibt vordergründig-direkt, wie so manches in dieser Inszenierung. Schwer zu verdauen eben: ein provokantes und kämpferisches Statement, darin allerdings recht gewollt. //